Die spinale Muskelatrophie ist mittlerweile zu einer grundsätzlich behandelbaren Erkrankung geworden und seit Oktober 2021 Teil des Neugeborenenscreenings. Aus Sicht der Neuropädiaterin Professor Ulrike Schara-Schmidt ein großer Erfolg, wenn auch das Screeningergebnis nicht als Beweis gewertet werden darf.

Als "wahre Erfolgsstory" bezeichnete die Neuropädiaterin Professor Ulrike Schara-Schmidt vom Universitätsklinikum in Essen das seit Oktober 2021 implementierte Neugeborenenscreening (NGS) auf die 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie (SMA). Die SMA habe es innerhalb weniger Jahre geschafft, ins NGS aufgenommen zu werden. "Andere Erkrankungen brauchten dazu deutlich länger." Im Rahmen des Screenings könne zunächst nur ein Erkrankungsverdacht gestellt werden, der in spezialisierten Zentren bestätigt werden muss, erklärte die Neuropädiaterin. Das Besondere beim SMA-Screening: Es handelt sich dabei - anders als bei vielen anderen, das NGS umfassenden Krankheiten - um ein genetisches Screening. Untersucht wird, ob eine homozygote Deletion im Exon 7 des SMN1-Gens besteht. Im Falle eines positiven Ergebnisses schließt sich eine Bestätigungsdiagnostik und die Bestimmung der SMN2-Kopienzahl an. Denn die Anzahl der Kopien hat einen gewissen Einfluss auf den Phänotyp, wie Schara-Schmidt erklärte.

Keine bundesweit einheitlichen Tracking-Mechanismen

Die Nachverfolgung der positiv gescreenten Kinder sei ein wichtiger Auftrag, der uns alle angeht, wie die Neuropädiaterin betonte, er gelinge nur bei guter Zusammenarbeit und Vernetzung. Allerdings seien die gesetzlichen Regelungen zur Nachverfolgung nicht in allen Bundesländern gleich. In Bayern beispielsweise können die Patienten direkt vom Zentrum angesprochen werden; in Nordrhein-Westfalen werden die Familien von den Geburtshelfern kontaktiert. Schara-Schmidts Rat: Informieren Sie sich über die in ihrem Bundesland geltenden Tracking-Mechanismen!

SMA trotz negativem NGS

Schara-Schmidt appellierte zudem eindringlich an alle niedergelassenen Kinderärzte, sich bei einem klinisch auffälligen Kind nicht mit einem negativen Befund aus dem NGS zufriedenzugeben. Denn ein unauffälliger Screeningbefund schließe eine SMA nicht aus. Bei 4-5 % der Patienten liegen Punktmutationen auf einem Allel vor oder es besteht eine Compound-Heterozygotie für die Deletion. Beides kann mit den im Screening angewandten Techniken nicht erkannt werden, so Schara-Schmidt. "Ich kann alle nur ermuntern, beim klinischen Verdacht eine genetische Analyse zu veranlassen." Schließlich stünden mittlerweile Therapieoptionen zur Verfügung, deren Erfolgsaussichten von einer frühzeitigen Diagnose und Behandlung abhängen.

Verfügbare Therapien

Zur medikamentösen Therpie aktuell zugelassen sind das Antisense-Oligonukleotid Nusinersen, die SMN1-Genersatztherapie Onasemnogen-Abeparvovec und das "small molecule" Risdiplam.

Nusinersen, zugelassen seit 2017, blockiert Spleiß-Silencer in Intron 7 der SMN2-pre-mRNA, sodass das Exon 7 in der SMN2-mRNA vermehrt enthalten ist und mehr SMN-Protein produziert wird. Nusinersen muss wiederholt intrathekal verabreicht werden. Onasemnogen-Abeparvovec, in Europa seit 2020 ohne Altersbeschränkung zugelassen, basiert auf einem Adeno-assoziierten viralen Vektor, der eine funktionstüchtige Kopie des humanen SMN1-Gens (scAAV9-SMN) enthält. Die Genkopie wird intravenös verabreicht und kann in den ersten sechs Lebensmonaten die noch unreife Blut-Hirn-Schranke überwinden. Wie lange die Wirkung anhält, ist noch nicht bekannt. Bei Risdiplam handelt es sich um einen systemisch wirksamen oralen Splicing-Enhancer, der das Spleißen von SMN2 moduliert und die Expression des funktionellen SMN-Proteins erhöht. Er wird täglich als Saft verabreicht.

Alle drei Therapien sind wirksam und verbessern die motorische Funktion bei Säuglingen und Kindern. Der Erfolg hängt jedoch vom Zeitpunkt der Behandlung und damit vom Krankheitsstadium ab. Die Autoren der S1-Leitlinie zu SMA weisen darauf hin, dass "eine altersgerechte motorische Entwicklung allenfalls bei einer präsymptomatisch begonnenen Therapie möglich ist."

"Pädiatrie Update"-Seminar, 6./7. Mai 2022, Köln