? Julias Mutter ist ratlos, wie sie ihrer achtjährigen Tochter Putins Verhalten erklären soll. Einerseits möchte sie Julia vor den grausigen Bildern aus den Medien schützen, andererseits ihr keine heile Welt vorgaukeln. Was darf man, was soll man seinem Kind über das Böse in der Welt erzählen? Und wie gehen wir selbst damit um, wenn Frieden, Demokratie und unsere Freiheit bedroht werden?

!Prof. Dorsch: Die Wucht der Frage, woher das Böse kommt, traf mich unvorbereitet. Offensichtlich hatte ich es mir auch in unserer Wohlfühlgesellschaft bequem gemacht, da die meisten der von unseren Volksvertretern gefällten politischen Entscheidungen als alternativlos deklariert wurden. Jetzt sprechen wir von einer Zeitenwende, davon, dass nichts mehr sein wird, wie es war. Bei aller Empörung und allem berechtigten Entsetzen sollten wir aber auch die verheerenden Wirkungen westlicher Politik nicht vergessen. Zu Selbstgerechtigkeit gibt es keinen Anlass.

Das Böse ist und bleibt in der Welt, lange vor Putin, lange nach ihm. Tröstlich bleibt, dass das für das Gute auch gilt. Unser Handlungsspielraum ist begrenzt, wir sollten ihn aber nutzen und unsere Kinder auf die Welt vorbereiten, die sie erwartet. Wir müssen sie zu mündigen und verantwortlich handelnden Bürgern heranwachsen lassen. Das bedeutet, dass wir mit ihnen auch über Grundsätzliches diskutieren müssen. Der Vertrauensverlust, den Eltern erleiden, wenn sich die heile Welt, die sie ihren Kindern vorgaukeln, als irreal erweist, kann riesengroß sein, größer als die jetzt in der Erwachsenenwelt um sich greifende Erkenntnis, dass man doch nicht so gut vorgesorgt hat, wie wir gerne glauben wollten.

Julias Mutter war davon überzeugt, dass wir als Erwachsene nicht schweigen können. Schwierig waren Antworten auf konkrete Fragen: Müssen wir Angst haben? Darf ich das vor Julia zugeben? Wie sehr dürfen und können wir unsere Kinder schonen? Wir dürfen ihnen nichts vorspielen, uns aber auch nicht. Uns war klar, dass wir auf viele Fragen keine Antwort wissen. Allerdings wird man Julia erklären können, wie ein Diktator verhindern kann, dass sich sein Volk eine eigene Meinung bildet. Dass man deshalb zwischen den Russen und ihrer Regierung unterscheiden muss. Dass es für viele Menschen aus Russland gute Gründe gibt, weshalb sie bei uns leben. Wie schön russische Literatur und Musik ist. Dass es eigentlich Regeln gibt, wie Konflikte gelöst werden sollten.

Wir können mit unseren Kindern über viele kleine Maßnahmen sprechen, die uns unabhängiger machen. Wir müssen mit ihnen darüber reden, wie man Lügen und Verleumdung erkennen und bekämpfen kann, welche Werte für uns unverzichtbar sind, was Verantwortung und Kameradschaft bedeutet und vieles mehr.

Mir fiel wieder ein alter Merksatz ein: Es ist sinnvoller, ein kleines Licht anzuzünden, als über die große Finsternis zu klagen.

! Prof. Zierer: Krieg ist natürlich ein Thema in Familien und Schule. Nur wenn Kinder hierzu keine Fragen stellen, sollten Erwachsene vorsichtig sein, das, was ihnen wichtig ist, auf die Kinder zu übertragen. Kindheit und Jugend ist auch ein Schonraum. In der Erziehungswissenschaft stehen sich zwei Prinzipien gegenüber: Einerseits ist Sachgemäßheit wichtig. Damit ist gemeint, Tatsachen so darzustellen, wie sie sind. Andererseits ist auf Kindgemäßheit zu achten. Dies bedeutet, Themen so aufzubereiten, dass Kinder sie verstehen können. Das Spannungsfeld liegt auf der Hand: Wo beginnt das eine und wo endet das andere? Wenn also über Krieg gesprochen wird, so wird es notwendig sein, zu erklären, wie Krieg entsteht, wie es dazu kommen konnte und auch, dass es nur einen Ausweg aus Krieg gibt: Friedensverhandlungen.

Ungeeignet sind sicherlich Nachrichten mit Bildern von toten Menschen, ausgebrannten Autos und völlig zerstörten Häusern. Solche Bilder sind für junge Menschen schwer zu begreifen. Unsere Kinder und Jugendlichen müssen ein Urvertrauen entwickeln können. Eine wesentliche Perspektive muss im Vordergrund stehen: Diese Welt ist gut, auch wenn sie zeitweilig aus den Fugen gerät.