ADHS verläuft bei Kindern/Jugendlichen sehr unterschiedlich. Welche Risikofaktoren mit welchem Verlauf assoziiert sind und wie sich dieses Wissen therapeutisch nutzen lassen kann, wurde in einer britischen Studie untersucht.

Die Autoren dieser Studie gingen der Frage nach, welche Faktoren die Entwicklungsverläufe der ADHS im Kindes-/Jugendalter beeinflussen. Dafür erstellten sie eine latente Klassenwachstumsanalyse mit Daten aus der britischen Millennium-Kohortenstudie (n = 11.316). Die ADHS-Symptome wurden im Alter von 3, 5, 7, 11 und 14 Jahren erfasst. Unterschieden wurden sechs Verlaufsgruppen:

  • Gruppe 1: nicht betroffen (34,9 %)

  • Gruppe 2: leicht betroffen (24,1 %)

  • Gruppe 3: subklinisch remittierend (12,8 %)

  • Gruppe 4: Beginn im Vorschulalter und teilweise remittierend (14,1 %)

  • Gruppe 5: in der Entwicklung ansteigend (7,6 %)

  • Gruppe 6: Beginn im Vorschulalter, anhaltend (6,4 %)

Als beeinflussende Faktoren wurden Geschlecht, Intelligenz, mütterliche Bildung, Frühgeburt, Probleme mit Gleichaltrigen, Verhaltensstörungen und Lesefähigkeit ermittelt. Frühgeburtlichkeit trat in den Gruppen 2-6, verglichen mit den nicht betroffenen Kindern, vermehrt auf. Ein schwieriges Temperament mit Regulationsschwierigkeiten ging mit mehr Problemen mit Gleichaltrigen einher und fand sich überwiegend in Gruppe 6.

Betroffen waren mehr Jungen als Mädchen, hier spielte auch die mütterliche Bildung eine Rolle. Eine leichtere Form der Symptomatik, mit späterem Beginn und meist mit Leseschwierigkeiten einhergehend, betraf überwiegend Mädchen. Ein Persistieren der Symptomatik war meist bei Jungen und früh auftretenden Verhaltensstörungen zu finden.

Murray AL et al. Developmental trajectories of ADHD symptoms in a large population-representative longitudinal study. Psychol Med 2021 Mar 26:1-7

Kommentar

Schon Barkley et al. haben die schwer verlaufende Form einer ADHS mit dissozialem Verhalten und erhöhter Suchtgefahr mit den komorbid bestehenden und schon früh auftretenden Verhaltensstörungen assoziiert. Diese Patientengruppe sollte daher schon frühestmöglich in ein breites therapeutisches Setting aufgenommen werden, das Psychoedukation, Unterstützung der Eltern, Zusammenarbeit mit den Lehrern, psychotherapeutische Maßnahmen sowie Medikation umfasst.

Auch bei der Analyse der Autoren in der hier vorgestellten Studie fällt auf, dass die Mädchen später auffällig werden - möglicherweise erst im Zusammenhang mit Lernschwierigkeiten, wenn die von ihnen bisher eingesetzten kompensatorischen Strategien nicht mehr ausreichen. Hier ist es wichtig, hinter den Lernschwierigkeiten nicht die zugrunde liegende ADHS zu übersehen.

Die Analyse unterstützt das Vorgehen, bei Vorliegen von Resilienzfaktoren wie guter Intelligenz, familiären Unterstützungsmöglichkeiten und ausgeglichenem Temperament eine positive Prognose des Krankheitsverlaufs zu vermitteln.