Wenn in der medikamentösen Therapie von ADHS Stimulanzien nicht eingesetzt werden sollen - zum Beispiel um Appetitstörungen zu vermeiden -, scheinen α2-adrenerge Agonisten eine sichere und wirksame Alternative zu sein.

Die Autoren dieser Studie prüften, ob Medikamente auf der Basis von α2-adrenergen Agonisten bei Kindern im Vorschulalter mit ADHS wirksam sind. Dazu führten sie eine retrospektive Datenerhebung in sieben pädiatrischen Zentren in England durch. 497 Kinder mit der Diagnose ADHS, die zu Beginn ihrer Behandlung mit entweder α2-adrenergen Agonisten oder Stimulanzien jünger als 72 Monate waren, wurden erfasst. Die Behandlung fand zwischen 2013 und 2017 statt. Eine Verlaufskontrolle wurde bis 2/2019 durchgeführt.

82 % der behandelten Kinder waren Jungen, 18 % Mädchen. 35 % erhielten α2-adrenerge Agonisten, 65 % Stimulanzien. Die Behandlungsdauer betrug im Schnitt in beiden Gruppen 135 Tage. Eine Besserung der Symptomatik wurde bei 65 % der Kinder unter α2-adrenergen Agonisten und 78 % der Kinder unter Stimulanzien beobachtet. An Nebenwirkungen wurden Tagesmüdigkeit bei 38 % unter α2-adrenergen Agonisten versus bei 3 % unter Stimulanzien beobachtet. Emotionale Labilität trat bei 29 % der Kinder unter α2-adrenergen Agonisten versus bei 50 % unter Stimulanzien auf. Appetitmangel wurde bei 7 % der Kinder mit α2-adrenergen Agonisten beobachtet und bei 38 % unter Stimulanzien, bei Schlafstörungen betrug die Rate 11 % unter α2-adrenergen Agonisten versus 21 % unter Stimulanzien.

Die Autoren kommen zum Schluss, dass auch α2-adrenerge Agonisten bei der Behandlung von Vorschulkindern mit ADHS wirksam sind und dass sich die Therapie vor allem im Nebenwirkungsspektrum von der mit Stimulanzien unterscheidet.

Harstad E et al. α2-adrenerger agonists or stimulants for preschool-age children with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. JAMA 2021;325:2067-75

Kommentar

Auch wenn bei der Mehrzahl der Kinder mit ADHS mit der medikamentösen Therapie bis zum siebten Lebensjahr abgewartet werden kann, reicht bei einigen die Psychoedukation nicht aus, um den Störungsgrad so weit zu mindern, dass Eltern und Kind eine gute Lebensqualität haben. Es ist gut zu wissen, dass dann auch andere Substanzen als Stimulanzien wirksam sein können; oder auch wenn das Nebenwirkungsspektrum der Stimulanzien zu ungünstig ist - etwa wenn das Kind bereits untergewichtig ist, an erheblichen Schlafstörungen leidet oder die ausgeprägte Störungssymptomatik bereits morgens mit dem Aufwachen beginnt und erst mit dem meist deutlich verspäteten Einschlafen endet. Leider befinden wir uns dann meist im Off-label-Bereich.

Generell ist eine medikamentöse Behandlung der ADHS im Vorschulalter gemäß den S3-Leitlinien ADHS bei entsprechendem Schweregrad möglich, allerdings nur im Rahmen der Zulassung der Substanzen. Methylphenidat ist ab sechs Jahren zugelassen, Amphetaminsulfat in Saftpräparation bereits ab fünf Jahren, α2-adrenerge Agonisten (Guanfacin) ab sechs Jahren - jedoch erst wenn Stimulanzien keine Wirksamkeit gezeigt haben. Daher bleibt nur zu hoffen, dass durch entsprechende Studien das Zulassungsalter modifiziert wird.

Wünschenswert wären auch Langzeitstudien sowohl hinsichtlich des Nebenwirkungsspektrums als auch hinsichtlich des Verlaufs der ADHS-Symptomatik. Kann vielleicht eine frühe Therapie bereits im Vorschulalter den Verlauf der ADHS auch dahingehend beeinflussen, dass eine Therapie früher wieder beendet werden kann, dass die zerebrale Netzwerkstörung also "behoben" wird oder wenigstens soweit gemindert, dass keine Störungsrelevanz mehr besteht? Kann sie verhindern, dass weitere, vor allem psychische, Komorbiditäten auftreten, wie Ängste, Depressionen oder Essstörungen?