Äußern Eltern den Verdacht, dass ihr Kind ADHS haben könnte, sollte man das ernst nehmen und das Kind gegebenenfalls engmaschig betreuen. Denn eine Studie ergab, dass Eltern eine ADHS bei ihrem Kind mit hoher Spezifität erkennen, wenn auch mit nur mittelmäßiger Sensitivität.

Wie gut können Eltern und Erzieher beurteilen, ob bei einem dreijährigen Kind eine ADHS besteht? Um diese Frage beantworten zu können, wurden Daten einer longitudinalen norwegischen Mutter/Vater/Kind-Kohortenstudie ausgewertet. Eltern von 1.195 Kindern im Alter von drei Jahren und Erzieher wurden darin anhand des SDQ ("Strenghts and difficulties Questionnaire") oder des Early Childhood Inventory-4 zum Verhalten des Kindes befragt. 957 Kinder im Alter von fünf Jahren wurden auf eine ADHS untersucht, dabei wurden die Conners' Parent Rating Scales eingesetzt. Im Alter von fünf Jahren wurde bei 121 Jungen und 95 Mädchen die Diagnose ADHS gestellt.

Die Sensitivität der Elternbeurteilungen betrug für Kinder im Alter von drei Jahren 43-45 %, die Spezifität 81-91 %. Auch wenn also viele Kinder mit einer ADHS-Diagnose im Alter von fünf Jahren bereits im Alter von drei Jahren von ihren Eltern als auffällig eingestuft worden waren, so wurde nur knapp die Hälfte der Kinder mit ADHS bereits im jüngeren Alter als auffällig bewertet. Die Sensitivität der Erzieherbeurteilung bei den Jungen betrug 27 %, die Spezifität 88 %, die Sensitivität bei den Mädchen wiederum betrug nur 14 %. Mädchen wurden von den Erziehern also deutlich seltener als auffällig bewertet.

Die Autoren schließen aus ihren Daten, dass Kinder, die im Alter von drei Jahren von den Eltern als auffällig beurteilt werden, engmaschig betreut werden sollten, um eine ADHS nicht zu übersehen. Sie weisen auch darauf hin, dass Erzieher bei Mädchen dazu neigen, ADHS-Symptome zu übersehen.

Overgaard KR. Predictive validity of attention-deficit/hyperactivity disorder from ages 3 to 5 Years. Eur Child Adolesc Psychiatry 2021 doi: 10.1007/s00787-021-01750-5

Kommentar

Bei Kindern im Alter von drei Jahren ist es schwierig, anhand der Leitsymptome eine ADHS zu erkennen, da in diesem Alter eine große Reifungsvarianz besteht und gerade die Aufmerksamkeitssymptomatik schwer zu beurteilen ist. Die Studie zeigt aber, dass gerade die Beobachtungen der Eltern ernst zu nehmen sind und eine unauffällige Bewertung der Erzieher wiederum nicht zur "Sorglosigkeit" verführen sollte.

Mädchen fallen im Alter von drei Jahren für ihre Eltern - ebenso wie später für die Erzieher - weniger auf. In der vorliegenden Studie wird zwischen den einzeln Typen der ADHS nicht differenziert. Möglicherweise fällt in dem frühen Alter vor allem die hyperaktive und impulsive Form auf, nicht aber die rein unaufmerksame. Dies würde auch erklären, warum Mädchen mit ADHS öfter übersehen werden. Möglicherweise sind aber auch die sozialen Kompetenzen bei Mädchen reifungsbedingt stärker entwickelt, sodass ihr Verhalten als weniger störend empfunden wird. Bei der Elternbeurteilung unterscheidet sich die Sensitivität zwischen Jungen und Mädchen nicht, ein Hinweis darauf, wie gut die Eltern das Verhalten ihrer Kinder einschätzen können. Daher ist die Empfehlung der Autoren, die Beurteilung der Eltern ernst zu nehmen, nur zu unterstützen.