Patienten mit ADHS verfallen schneller einer Sucht als Gesunde - das gilt auch für eine Spielsucht. Bei der Therapie der Spielsucht darf dann nicht vergessen werden, auch eine mögliche ADHS zu diagnostizieren.

In einer prospektiven dreijährigen Longitudinal-Kohortenstudie wurde untersucht, ob eine komorbid bestehende Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Jugendlichen mit Internetspielsucht die Prognose beeinflusst. Dafür wurden 128 Patienten mit einer Internetspielsucht mit 127 Personen verglichen, die neben einer Internetspielsucht zusätzlich die Diagnose ADHS - entsprechend den DSM-5-Kriterien - erhalten hatten. Das Alter der Patienten lag zwischen 11 und 42 Jahren. Beide Gruppen erhielten eine achtwöchige Verhaltens- und bei Bedarf eine medikamentöse Therapie ihrer Depressionen und ADHS-Symptomatik. Bei ausbleibender Besserung wurden die psychotherapeutische und die medikamentöse Behandlung fortgesetzt. Die Gruppe ADHS + Internetspielsucht zeigte eine langsamere und nach drei Jahren niedrigere Besserungsrate im Vergleich zu der Gruppe mit reiner Internetspielsucht: 17 % versus 49 % im ersten Jahr, 42 % versus 57 % im zweiten Jahr und 60 % versus 93 % im dritten Jahr. Auch die Rückfallquote war in der ADHS + Internetspielsuchtgruppe höher als in der reinen Internetspielsuchtgruppe.

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Unter Personen mit Spielsucht finden sich auch viele mit ADHS.

Die Autoren beobachteten weiterhin, dass ein stabiles Umfeld Einfluss auf die Ausprägung der Suchtneigung und auf die Chance, diese zu überwinden, hat. Sie empfehlen daher, Patienten mit Internetspielsucht auf ADHS zu untersuchen, um so eine umfassende und effektivere Therapie zu etablieren. Weiterhin raten sie dazu, Maßnahmen zu ergreifen, die die Familien stützen.

Lee J et al. Impact of attention-deficit/hyperactivity disorder comorbidity on longitudinal course in Internet gaming disorder: a 3-year clinical cohort study. J Child Psychol Psychiatry 2021;62:1110-9

Kommentar

Das erhöhte Suchtrisiko für Menschen mit ADHS ist bereits aus mehreren Studien bekannt. Dies gilt für Drogen und Alkohol, aber auch für die Internetspielsucht. Im klinischen Alltag erleben wir als eines der Hauptprobleme mit Beginn der Pubertät, dass visuelle Medien den größten Teil der Freizeit ausfüllen, soziale Kontakte vernachlässigt werden und zunehmend auch die Schulleistungen darunter leiden. Dafür gibt es mehrere Hypothesen: Menschen mit ADHS zeigen neurobiologische Auffälligkeiten im "Belohnungszentrum", dem Nucleus accumbens, sowie in den Netzwerken zum limbischen System und zur Amygdala, unserem "Angstzentrum". Neuropsychologisch werden Schwierigkeiten, Bedürfnisse aufzuschieben, sowie die Neigung, sich bei sich wiederholenden, eher ereignisarmen Tätigkeiten schnell zu langweilen, diskutiert [Castellanos FX et al. Nat Rev Neurosci 2002;3:617-28]. Ein Grund für das erhöhte Suchtrisiko bei ADHS dürfte aber auch die Flucht aus dem Alltagsleben mit Misserfolgen sein.

Eine erfolgreiche Therapie der ADHS mit Stimulanzien reduziert nicht nur die Symptomatik, sondern mindert auch die Gefahr, einer Internetspielsucht zu verfallen beziehungsweise verbessert die Chance deren Heilung [Chang CH et al. Int J Neuropsychopharmacol 2020;23:349-55]. Je früher die Eltern mit Grenzen und Strukturen, aber auch mit gemeinsamen Freizeitangeboten dieser Gefahr entgegentreten, umso erfolgreicher wird sich ein Jugendlicher mit ADHS digitalen Attraktion entziehen können. Auch soziale Gruppenaktivitäten - etwa bei den Pfadfindern, in Sportvereinen oder der freiwilligen Feuerwehr - gelten als Resilienzfaktoren.

Die Einschränkung sämtlicher sozialer Freizeitaktivitäten durch den Lockdown und die durch Homeschooling zunehmend schwer zu kontrollierende Zeit im Internet haben zu einem deutlichen Anstieg des visuellen Medienkonsums geführt, der nicht nur zur Gewichtszunahme, sondern auch zu sozialer Isolation beitrug und den Weg zur Internetspielsucht ebnete.