Auch Minderjährige können nun gegen COVID-19 geimpft werden. Was müssen Ärzte bei der Indikationsstellung beachten? Welche Besonderheiten gelten bei Aufklärung und Einwilligung? Und was passiert, wenn Eltern und Kind unterschiedlicher Meinung über die Impfung sind?

Seit Ende Mai ist der Impfstoff Comirnaty® von BioNTech/Pfizer in der EU auch für 12- bis 15-Jährige zugelassen, seit Ende Juli zudem Spikevax® von Moderna für 12- bis 17-Jährige. Unterdessen hat die STIKO ihre COVID-19-Impfempfehlung dahingehend aktualisiert, dass eine mRNA-Impfung bei 12- bis 17-Jährigen im Grundsatz nur bei bestimmten Vorerkrankungen - etwa bei einer schweren Herzinsuffizienz - empfohlen wird. "Der Einsatz von Comirnaty bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-17 Jahren ohne Vorerkrankungen wird derzeit nicht allgemein empfohlen, ist aber nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder Jugendlichen beziehungsweise der Sorgeberechtigten möglich", heißt es [Epid Bull 2021(23):4; Epid Bull 2021(25):4].

figure 1

© Fontanis / stock.adobe.com

Um sich juristisch abzusichern, sollten Aufklärung und Einwilligung sowie die Risikoabwägung bezüglich der COVID-19-Impfung sorgfältig dokumentiert werden.

Soweit die positive STIKO-Empfehlung auf den Einzelfall zutrifft, wird die ärztliche Entscheidung über eine Impfindikation im Praxisalltag sicherlich vereinfacht. Greift die Empfehlung dagegen nicht ein, bedarf es einer sehr sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall, bei der von Ärzten die individuellen Belange des Patienten miteinzubeziehen sind. Relevant werden können dabei auch von der STIKO nicht genannte Kriterien wie ausgeprägte Ängste des Kindes vor einer Erkrankung oder eine unvermeidbare Reise in ein Hochrisikogebiet. Ärzte sollten ihre Abwägungsentscheidung in der Akte in jedem Fall gut dokumentieren.

Positiv wirkt sich ferner die Zulassungserweiterung aus, soweit dadurch Impfungen bei Minderjährigen fortan nicht mehr zulassungsüberschreitend erfolgen müssen. Gesteigerte Aufklärungspflichten bei einem Off-label-Use greifen somit nur noch dann ein, wenn Kinder unter zwölf Jahren geimpft werden. Das ist im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit rechtlich zulässig und kann bei schwerer Vorerkrankung im Einzelfall sogar geboten sein.

Die Feinheiten bei der Einwilligung

Doch welche Besonderheiten müssen Ärzte nun bei Aufklärung und Einwilligung beachten? Rechtlicher Ausgangspunkt ist zunächst, dass ein ärztlicher Eingriff nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Körperverletzung darstellt, die der Rechtfertigung qua wirksamer Einwilligung bedarf. Im Vorfeld einer Schutzimpfung ist der einwilligungsfähige Patient daher ordnungsgemäß aufzuklären und es ist dann von ihm die Einwilligung einzuholen. Der Beweis des "informed consent" obliegt im Zivilprozess dem Arzt.

Selbst einwilligen kann ein Minderjähriger nach der Judikatur indes nur, wenn er "nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag" (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1958; Az.: VI ZR 266/57). Da starre Altersgrenzen nicht existieren, müssen Ärzte die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des individuellen Patienten in Bezug auf die COVID-19-Impfung im Einzelfall ermitteln: Kann er dem Aufklärungsgespräch folgen? Ist er in der Lage, die Informationen zu verstehen und bei seiner Entscheidungsfindung einzubeziehen? Bei Zweifeln ist gegebenenfalls die Expertise eines Psychiaters oder Psychotherapeuten hinzuzuziehen. Wird die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen bejaht, hat sein Selbstbestimmungsrecht Vorrang vor dem elterlichen Sorgerecht.

Ein Fall fürs Familiengericht?

Fehlt dem Patienten hingegen die notwendige Einwilligungsfähigkeit, ist gemäß § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB die Einwilligung "eines hierzu Berechtigen" einzuholen - bei Minderjährigen im Regelfall der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern. Diese sind dann zugleich Aufklärungsadressaten, während dem Minderjährigen lediglich die wesentlichen Umstände entsprechend seinem Entwicklungsstand und seinen Verständnismöglichkeiten erläutert werden müssen (§ 630e Abs. 5 BGB). Gleichwohl haben Eltern den natürlichen Willen des Kindes zu berücksichtigen und Einvernehmen anzustreben (§ 1626 Abs. 2 BGB).

Eine Nichtbeachtung des Willens kann eine Kindeswohlgefährdung begründen. Diese droht vor allem dann, wenn Sorgeberechtigte entgegen der STIKO-Empfehlung eine Schutzimpfung ablehnen. Gegebenenfalls wird der Minderjährige (oder andere Personen) das Familiengericht einschalten, das im Interesse des Kindeswohls die Einwilligung der Eltern ersetzen oder einen Ergänzungspfleger bestellen kann. Besteht zwischen den Elternteilen Dissens, spricht viel dafür, demjenigen Elternteil die Entscheidung allein zu übertragen, der den STIKO-Empfehlungen folgt, sofern keine besonderen Impfrisiken bestehen (so für Standardschutzimpfungen z. B. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017, Az.: XII ZB 157/16).

Die skizzierten Grundsätze entsprechen dem Gesetzeswortlaut im Sinne einer binären Lösung: Entweder der Minderjährige ist einwilligungsfähig und alleinzuständig oder ihm fehlt die Einwilligungsfähigkeit und seine Eltern entscheiden. Blickt man aber in die Begründung zu § 630d BGB im sogenannten Patientenrechtegesetz von 2013, wird dort eine gemeinsame Einwilligung durch den Minderjährigen und seine Eltern erwogen (Co-Konsens). Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. So wurde etwa einer 15 ½-Jährigen lediglich ein Vetorecht im Sinne negativer Selbstbestimmung zugestanden (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2006, Az.: VI ZR 75/05). Eine endgültige Klärung der auch in der Literatur kontroversen Rechtsfrage steht noch aus. Einstweilen bleibt leider eine Rechtsunsicherheit für Ärzte. Diesen kann in Konfliktfällen nur angeraten werden, Eltern und Kind einzubeziehen, sich möglichst um ein Einvernehmen zu bemühen und der Dokumentation besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Nicht alleine auf Merkblätter setzen

Schließlich sehen Gerichte im Kontext öffentlich empfohlener Impfungen zwar diverse Erleichterungen für Ärzte vor. So soll etwa statt eines Aufklärungsgesprächs ausnahmsweise die Aushändigung eines Merkblatts nebst Gelegenheit zu Fragen im Gespräch ausreichen. Allerdings wurden solche Erleichterungen an eine Routineimpfung angeknüpft (BGH, Urteil vom 15. Februar 2000, Az.: VI ZR 48/99 zur Polio-Schluckimpfung 1994). Das kann für die neuartige mRNA-Impfung derzeit nicht angenommen werden.

Deshalb ist es ratsam, sich der Beteiligung beider Elternteile zu vergewissern sowie über Chancen und Risiken einer Impfung mündlich aufzuklären. Dabei können Ärzte auf das Aufklärungsmerkblatt zur Schutzimpfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoffen in der jeweils aktuellen Fassung ergänzend Bezug nehmen.