Eine Adipositas im Kindesalter sollte so früh wie möglich behandelt werden. Auch eine medikamentöse Therapie wäre eine Möglichkeit. In dieser Studie wurden mit Liraglutid positive Effekte erzielt, doch es kam auch zu gastrointestinalen Nebenwirkungen.

Adipöse Kinder haben ein hohes Risiko, auch im Erwachsenenalter an Adipositas zu leiden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Therapie im Kindesalter. Primär beruht diese bei pädiatrischen Patienten in Schulungen, die auf die Änderung von Lebensgewohnheiten abzielen, jedoch häufig keinen ausreichenden Therapieeffekt zeigen [Styne DM et al. J Clin Endocrinol Metab 2017; 102:709-57; Ells LJ et al. Int J Obes Relat Metab Disord 2018;42:1823-33].

Die vorgestellte Multizenterstudie untersuchte den Effekt einer Behandlung adipöser Jugendlicher mit Liraglutid - einem Analogon von Glucagon-like-peptide 1 (GLP-1), das unter anderem aufgrund seiner appetitzügelnden Wirkung in der Adipositastherapie bei Erwachsenen eingesetzt wird [Knudsen LB et al. Front Endocrinol 2019;10:155]. Eingeschlossen wurden 299 adipöse Jugendliche unterschiedlicher Ethnien und Tanner-Stadien im Alter von 12 bis < 18 Jahre, die schlecht auf eine primäre Adipositastherapie (professionelle Beratung zu einem gesunden Lebenswandel) angesprochen hatten. Die Teilnehmer durften eine gestörte Glukosetoleranz aufweisen (Hämoglobin A1c > 5,7 % und/oder Nüchternplasmaglukosespiegel > 100 mg/dl). Bei Studienbeginn erhielten sie 12 Wochen lang Anweisungen zu einem gesunden Lebenswandel. Anschließend erfolgte eine doppelblinde Randomisierung. Die Teilnehmer erhielten 56 Wochen lang Liraglutid (Startdosis 0,6 mg/Tag, Enddosis 3 mg/Tag) oder Placebo. Abschließend wurden sie 26 Wochen lang nachbeobachtet.

Änderungen des Lebensstils reichen mitunter nicht, um kindliche Adipositas zu bekämpfen - können hier Medikamente weiterhelfen?
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Im Vergleich zur Placebogruppe wiesen Probanden unter Liraglutid nach 56 Wochen eine größere Reduktion des alterskorrigierten BMI (-4,5 %; 95 %-KI: -7,1 bis -2,1), des Körpergewichts (-5,0 %; 95 %-KI:-7,6 bis -2,4) und des Hüftumfangs (-2,9 cm; 95 %-KI: -5,2 bis -0,6) auf. Hinsichtlich der Glukosetoleranz gab es keine Therapieeffekte. Gastrointestinale Nebenwirkungen traten in der Liraglutidgruppe häufiger auf (n = 81, p < 0,0001). 26 Wochen nach Therapieende erfuhr die Liraglutidgruppe eine stärkere Zunahme des BMI (0,15 SD; 95 %-KI: 0,07-0,23) als die Placebogruppe.

Kelly AS et al. Controlled trial of liraglutide for adolescents with obesity. N Engl J Med 2020;382:2117-28

Kommentar

Um den Effekt von Liraglutid auf die Gewichtsentwicklung und Glukosetoleranz adipöser Jugendlicher zu untersuchen, bediente sich diese Arbeit eines übersichtlichen Studiendesigns. Ihre Stärken sind der langfristige Beobachtungszeitraum, die Randomisierung mit Placebokontrolle, der Einschluss multipler Studienzentren (32) und eine heterogene Studienpopulation.

Obwohl es unter Liraglutid zu einer Reduktion von Körpergewicht und BMI kam, können die Autoren keine Aussage zur Entwicklung der Körperzusammensetzung (metabolisch aktive Körpermasse, Fettanteil usw.) machen und nahmen keine differenzierte Beurteilung der Insulinresistenz vor, etwa mittels eines euglykämisch-hyperinsulinämischen Clamp-Tests. So ist zum einen die Deutung der Gewichtszunahme nach Ende des Interventionszeitraumes eingeschränkt, zum anderen lässt sich eine etwaige frühzeitige Veränderung der Insulinresistenz nicht darstellen. Einen Lebenswandel bei Menschen mit Adipositas herbeizuführen, sollte immer der erste Therapieansatz sein - dies wird von dieser Studie nicht angezweifelt. Sie verweist vielmehr auf die Möglichkeit einer additiven medikamentösen Therapie.

Vorstellbar wäre zum Beispiel die Anwendung von Liraglutid bei Patienten mit adipositasassoziierten Erkrankungen. Eine klare Einschränkung des Einsatzes dieses Medikaments besteht in seinem Nebenwirkungsprofil, das vor allem gastrointestinalen Beschwerden beinhaltet. Da große Metaanalysen in einer erwachsenen, adipösen Population nur einen moderaten Gewichtsverlust unter Liraglutid beschrieben haben [Vilsbøll T et al. BMJ 2012; 344:d7771], muss dessen Stellenwert weiterhin als gering eingeschätzt werden. Obschon die hier vorgestellte Studie einen wertvollen Einblick in die Gewichtsentwicklung jugendlicher Patienten unter Liraglutid bietet, ist es zu früh, eine Therapieempfehlung auszusprechen. Zu beachten ist, dass derzeit noch keine Medikamente zur Therapie der kindlichen Adipositas in Europa zugelassen sind. Es bedarf weiterer Forschung in größeren Studien [Pi-Sunyer X et al. N Engl J Med 2015;373:11-22].

Erstveröffentlichung in: Der Diabetologe 2020;16:528-9