? Florian ging stets gern in die Schule. In der dritten Klasse bekam er eine neue Lehrerin, er wurde immer stiller. Die Eltern erfuhren, dass die Lehrerin Florian von den anderen Kindern weggesetzt hatte und er nun allein saß. Er habe im Unterricht gestört, weil er mit den Rechnungen oft sehr schnell fertig gewesen sei und dann den Nachbarn habe helfen wollen. Unmittelbar nach einem Gespräch zwischen den Eltern und der Lehrerin wurde Florians Bank wieder deutlich näher zu den anderen gerückt.

! Prof. Dorsch: In diesem Fall konnte dank einer frühen Intervention der Eltern und einer raschen Einigung mit der Lehrerin, eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Anderen geht es oft deutlich schlechter. Vielfach verhärten sich die Fronten. Was kann der Kinderarzt nun bei Schulangst tun?

Auf keinen Fall darf er unbesehen durch Entschuldigungen den Rückzug des Kindes aus der Schule unterstützen. Das verschlimmert das Problem in der Regel. Prüfungen oder Auseinandersetzungen mit Schulkameraden und Lehrkräften können natürlich Angst auslösen und man muss den Kindern helfen, sie zu überwinden, bevor sie sich als Schulangst verselbstständigen.

Der Kinderarzt wird abklären, ob eine Über- oder Unterforderung, eine Teilleistungsstörung (Lese-Rechtschreib-Schwäche, Dyskalkulie u. a.), soziale (Mobbing) oder familiäre Probleme bestehen. Er muss aufmerksam zuhören, welche Probleme die Schulangst verursachen. Er wird, falls die Eltern die Schulangst ihrer Kinder nicht als solche wahrnehmen, auch auf diskrete Hinweise in dieser Richtung achten (z. B. Bauchschmerzen, Schlafstörungen oder Einnässen). Dem Kinderarzt kann auch die Rolle des Vermittlers zwischen Schule und Eltern zukommen. Er kann einerseits die Eltern ermutigen, (möglichst auf dem Dienstweg) das Gespräch mit der Lehrkraft, mit dem Vertrauenslehrer oder dem Schuldirektor zu suchen. Im Extremfall kann er sich auch direkt für seinen Schützling einsetzen, etwa durch einen Brief an den/die obersten Vorgesetzten, möglichst immer korrekt auf dem Dienstweg. Ich persönlich habe das zweimal getan: Einmal wurde die Lehrerin entlassen, einmal musste ich mich überall entschuldigen.

! Prof. Zierer: Das gemeinsame Kriterium für Schulangst ist ihre Entstehung in der Schule. Für die Betroffenen bleibt der Ursprung der Angst häufig diffus. Wir sprechen deshalb von Angst, nicht von Furcht (hier ist der Bezug klar benennbar) oder von Phobie (hier liegen die Ursachen außerhalb der Schule).

Je früher Schulangst erkannt wird, desto besser kann sie therapiert werden. Bei einem entsprechenden Verdacht müssen alle Beteiligten offen miteinander sprechen und dem Kind schnellstmöglich gemeinsam helfen. Dabei ist Fingerspitzengefühl nötig, denn Schulangst ist bei Eltern immer ein emotional heikles Thema. Berührungsängste lassen sich durch den Hinweis entkräften, dass die anfänglichen Maßnahmen zur Behandlung einer Schulangst auf alle Lernenden positiv wirken (auch wenn sie keine Schulangst haben). So kann man ohne allzu große Sorge und Panik einen gemeinsamen Plan schmieden.

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören: eine differenzierte Leistungsdiagnostik zur Feststellung von Unter- oder Überforderung, Analyse und Stärkung sozialer Kontakte, Reduzierung des Leistungsdruckes, zielgerichtetes Lob, Vermitteln von Strategien, um in der Vorbereitung zu Prüfungen die Ruhe zu bewahren. Auch Lernpläne, "versteckte" Leistungserhebungen zwischendurch, Freundschaftspflege, Entspannungsübungen sowie regelmäßiger Schlaf sind zusammen mit Lernentwicklungsgesprächen weitere konkrete Handlungsempfehlungen. Greifen diese Maßnahmen nicht und kommt es zu weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ist der Weg zur schulpsychologischen Beratungsstelle oder zum Kinderpsychologen angezeigt.

Seien Sie aufmerksam und hören Sie auch auf Nebenbemerkungen von Eltern. Denn nicht selten erzählen Eltern nebenbei, was zu Hause so passiert und geben so wichtige Hinweise, um die Gesamtsituation besser einzuschätzen.