Jugendliche mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zeigen ein riskantes Sexualverhalten, fangen früh an zu rauchen, konsumieren Alkohol und neigen zur Spannungsreduktion und Stimmungsstabilisierung durch den Konsum illegaler Drogen, erklärte Professor Martin Holtmann, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, LWL-Universitätsklinik Hamm, während eines von Medice veranstalteten virtuellen Praxisworkshops.

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Kinder und Jugendliche mit ADHS haben ein erhöhtes Suchtrisiko.

Zu den Gründen zählen ein bei ADHS-Patienten unterentwickeltes Belohnungssystem, das keinen Aufschub von Erfolgen duldet ("sensation seeking"), eine verminderte Impulskontrolle sowie komorbide psychiatrische Begleiterkrankungen wie Störungen des Sozialverhaltens, Angststörungen oder Depressionen. Holtmann rät zur primären Behandlung der Abhängigkeitserkrankung, erst danach sollte die ADHS therapiert werden.

Zu den Therapiebausteinen, die dabei helfen könnten, den Alltag ohne Drogen zu meistern, zählten die motivierende Gesprächstherapie, etwa der "change talk", in der die Nachteile des Status quo und die Vorteile einer Veränderung herausgearbeitet werden, Elemente der dialektisch-behavioralen Therapie sowie eine Multifamilientherapie. Dauerhafte Verhaltensänderungen seien wahrscheinlicher, wenn Patienten sich selbst überzeugen und nicht in Verteidigungshaltung geraten, erläuterte Holtmann.

Das Internationale Consensus Statement for the Screening, Diagnosis and Treatment of Adolescents with ADHD & SUD (ICASA) empfiehlt bei ADHS und Sucht langwirksame Stimulanzien wie retardiertes Methylphenidat (z. B. Medikinet® retard) oder Atomoxetin (z. B. Agakalin®) als Mittel der ersten Wahl [Özgen H et al. Eur Addict Res 2020;26: 223-32]. Die orale medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat sei nicht mit einem Abhängigkeitsrisiko verbunden, sondern wirke vielmehr protektiv und reduziere das Risiko für einen Substanzmissbrauch. Cannabiskonsum sei nicht in jedem Fall eine Kontraindikation gegen Stimulanzien, Kokainkonsum sei dagegen wegen additiver dopaminerger Effekte kontraindiziert, betonte Holtmann.

Remote Praxisworkshop "2020: Gemeinsam ADHS begegnen", 26.08.2020; Veranstalter: Medice