Eine beengte Wohnsituation, Homeoffice, eine ungewisse Zukunft und wenig Kontakt zu Ärzten und Hebammen - auch Stillschwierigkeiten können indirekte Folgen von COVID-19 sein.

Zu Stillbeeinträchtigungen kann es zwar jederzeit nach der Geburt kommen. Gerade aber auch diese außergewöhnliche Zeit der Corona-Pandemie führen zu großen Irritationen bei Mutter und Säugling. Die Gründe sind vielfältig: Durch die Sicherheitsvorkehrungen in den Kliniken und die damit verbundene Ausgrenzung der Partner sind die Mütter mit ihren Sorgen und Ängsten fast allein. Hinzu kommt, dass der Klinikaufenthalt der Mütter nach der Geburt möglichst kurz gehalten wird, häufig wird ambulant entbunden. Oft ist auch die Betreuung durch Hebammen zu Hause eingeschränkt. Dadurch bleibt eine intensive Betreuung von Problemfällen sowohl in Klinik als auch daheim auf der Strecke. Die Eltern sind zu Hause oft ganz auf sich allein gestellt. All das kann zu erheblichen Stillproblemen führen, die dann oft erst in der Kinderarztpraxis offensichtlich werden.

Beengende Wohnverhältnisse tun dann noch ihr übriges: Viele Partner arbeiten im Homeoffice, telefonieren, halten im eigenen Wohnzimmer Videokonferenzen ab und müssen dabei möglichst ungestört sein. Die Mütter sind also gezwungen, entsprechend Rücksicht zu nehmen. Dies steht im krassen Gegensatz zu den idealen Erwartungen, die die meisten an die Zeit direkt nach der Geburt haben, und kann in dieser sensiblen Phase schnell zu Stress und damit zu einer Reduktion der Milchproduktion führen. Dabei ist gerade ein stressfreier Start ins Leben äußerst wichtig für die Mutter-Kind-Bindung, wie auch das folgendes Beispiel aus unserer Kinder- und Jugendarztpraxis zeigt:

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© Alena Ozerova / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Idealerweise gewöhnen sich Mutter und Kind beim Stillen ganz entspannt aneinander - mit einem Partner im Homeoffice mitunter nur schwer umsetzbar.

Stress hemmt die Milchproduktion

Eine Mutter kommt mit ihrem viereinhalb Wochen alten Säugling zur Vorsorgeuntersuchung. Dort fällt auf, dass das Gewicht des Kindes etwa 100 g unter dem Geburtsgewicht liegt. Der Vater arbeitet im Homeoffice, die Mutter stillt voll, wirkt gestresst. Auf Nachfrage des Kinderarztes antwortet sie, dass sie genügend Muttermilch habe und ihr Kind gut trinke. Offenbar besteht eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Mutter und der Gewichtszunahme des Kindes.

Die Stillberaterin der Praxis wird hinzugezogen. Nach einem ersten kurzen Gespräch folgt ein weiterer Termin am Folgetag. Kurz nach Betreten des Raumes bricht die Mutter in Tränen aus. Sie schildert ihre Sorgen und ihre Belastung mit Schuldgefühlen und Vorwürfen. Für die Stillberaterin war es wichtig, die Mutter von ihren Selbstvorwürfen zu befreien und ihr Selbstbewusstsein zu vermitteln. Sie wolle doch das Beste für ihr Kind.

Nach mehreren Beratungsgesprächen, Übungen zu Anlegetechniken und einer Verbesserung der häuslichen Situation gelingt es der Mutter, für sich und ihr Kind eine angenehmere Atmosphäre zu schaffen. Sie schickt ihren Mann wieder ins Büro - seine Anwesenheit habe sie zu sehr gestresst. Bei den Gewichtskontrollen wiegt der Säugling bald altersentsprechend.