Gleich drei Studien im New England Journal of Medicine lieferten kürzlich Daten zu einer ungewöhnlichen Entzündungsreaktion mit Multisystembeteiligung, die Kinder nach einer COVID-19-Erkrankung ereilt. Eine Verwandtschaft zum Kawasaki-Syndrom scheint nicht unwahrscheinlich.

Kleine Fallserien über ungewöhnliche Verlaufsform von COVID-19-Infektionen in der Pädiatrie sorgen seit wenigen Monaten für Irritationen. Die betroffenen Kinder zeigen Merkmale eines Kawasaki- und toxischen Schocksyndroms oder einer akuten abdominalen Erkrankung und Enzephalopathie - jeweils mit deutlich erhöhten Entzündungsmarkern und einer Multisystembeteiligung. Gleich zwei Studien im New England Journal of Medicine liefern hierzu wichtige Daten und legen nahe, dass es sich um unterschiedliche klinische Präsentationen einer neuen entzündlichen Erkrankung im Kindesalter handelt. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA und die Weltgesundheitsorganisation haben Definitionen einer Erkrankung veröffentlicht, die sie als "multisystem inflammatory syndrome in children" (MIS-C) bezeichnen.

In der ersten Studie wurden hierzu Epidemiologie und klinische Merkmale dieser neuen Erkrankung in 106 Krankenhäusern im Bundesstaat New York analysiert [1]. Bis zum 10. Mai 2020 wurden der staatlichen Gesundheitsbehörde 191 Fälle gemeldet, von denen 99 der Falldefinition entsprachen. Feldstein et al. berichten in der zweiten Arbeit von 186 Fällen (mittleres Patientenalter 8,3 Jahre), die durch gezielte Überwachung in 26 US-Bundesstaaten über einen Zeitraum von zwei Monaten ermittelt wurden [2]. Zusammen mit Beiträgen aus anderen Ländern wurden in diesen Studien weltweit über 1.000 gemeldete Fälle von MIS-C charakterisiert [3].

MIS-C tritt zwei bis vier Wochen nach der Infektion mit SARS-CoV-2 bei 2 von 100.000 Personen unter 21 Jahren auf. Die meisten Patienten mit MIS-C haben Antikörper gegen SARS-CoV-2, ein Virusnachweis gelingt hingegen seltener. Einige Patienten entwickeln eine kritische Erkrankung mit kardialer Beteiligung und in 10 bis 20 % der Fälle mit Koronaraneurysmen. Auffällig sind: erhöhte Spiegel von Troponin, natriuretischem Peptid Typ B, C-reaktivem Protein, Ferritin, Laktatdehydrogenase und D-Dimeren sowie erhöhte Neutrophilenzahlen. Ebenfalls häufig beobachtet werden Anämie, Lymphopenie, Hypoalbuminämie und abnorme Gerinnungsindizes. Die meisten Patienten erholten sich unter Intensivbehandlung und Immunmodulation mit Immunglobulinen, Glukokortikoiden, Anti-Tumornekrosefaktor und Interleukin-1- oder Interleukin-6-Inhibitoren. Wenige benötigten eine extrakorporale Membranoxygenierung und bis zu 4 % der Patienten sind gestorben.

1. Dufort EM et al. Multisystem inflammatory syndrome in children in New York State. N Engl J Med 2020;383:347-58

2. Feldstein LR et al. Multisystem inflammatory syndrome in U.S. children and adolescents. N Engl J Med 2020;383:334-46

3. Levin M. Childhood multisystem inflammatory syndrome - a new challenge in the pandemic. N Engl J Med 2020;383:393-5

Kommentar

Laut des Europäischen Zentrums für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) wurden in Europa seit Jahresbeginn einige Hundert Verdachtsfälle einer seltenen Entzündungskrankheit bei Kindern detektiert. Ein Zusammenhang dieser als "paediatric inflammatory multisystem syndrome" (PIMS) benannten Konstellation mit SARS-CoV-2 erscheint plausibel. Die pädiatrischen Fachgesellschaften haben ein nationales Register aufgebaut, um das Geschehen in Deutschland genau untersuchen zu können.

Erwartet wird, dass die Aufklärung der Mechanismen dieser neuen Entität für das Verständnis von COVID-19 von großer Bedeutung ist. Die Beobachtung in den USA und weltweit, dass sich MIS-C in der Regel spät nach einer SARS-CoV-2-Infektion manifestiert, legt nahe, dass nach der Entwicklung von Antikörpern anomale zelluläre oder humorale adaptive Immunantworten beteiligt sein könnten. Es gibt Hinweise, dass Antikörper den Schweregrad einer SARS-CoV-2-Infektion erhöhen, indem sie Entzündungen triggern oder Organschäden vermitteln. Darüber hinaus deuten genetische Studien darauf hin, dass Kinder mit bestimmten Varianten in Genen, die T- und B-Zell-Antworten oder die Ausräumung von Immunkomplexen regulieren, ein höheres Risiko für das Kawasaki-Syndrom besitzen. Man könnte spekulieren, dass die klinische Ähnlichkeit zwischen der Kawasaki-Krankheit und der MIS-C eine verwandte zugrundeliegende Genetik impliziert, was die Hypothese stützt, dass die neue Erkrankung aus aberranten T- oder B-Zell-Antworten auf SARS-CoV-2 entsteht [3].

Weitere Fragen lauten: Kann ein Verständnis der MIS-C die schwer fassbare Pathogenese des Kawasaki-Syndroms erhellen? Werden die neuen Erkenntnisse Auswirkungen auf die Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 haben? Verstehen wir bald das späte hyperinflammatorische Syndrom besser, das bei einigen Erwachsenen mit COVID-19 auftritt und ähnliche Merkmale wie MIS-C aufweist?