Die Vorstellung, dass in der Säuglingsernährung der Grundsatz gelte: "Viel bringt viel" ist nach Studienlage nicht mehr haltbar. Im Laufe seiner frühen Entwicklung sinkt der Eiweißbedarf des Kindes, entsprechend nimmt der Proteingehalt in der Muttermilch mit zunehmendem Alter des Säuglings ab und wird zusammen mit Beikost bedarfsgerecht gedeckt. Es gilt, bereits in den ersten Lebensmonaten den Eiweißgehalt der Säuglingsmilchnahrung an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Dadurch kann eine adipöse Konditionierung im späteren Leben vermieden werden.

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Viele Eltern sind der Meinung, dass ein "kräftiges Wachstum" in den ersten Lebensmonaten dem Säugling einen guten Start in sein künftiges Leben ermöglicht. Das Gegenteil ist oft der Fall, wie PD Dr. Frank Jochum, Ev. Waldkrankenhaus Berlin anhand einer breit abgesicherten Studienlage belegt [1]. Ein Beispiel: Eine überproportionale Gewichtszunahme von 2,5 kg zwischen 0 und 1 Jahr (d.h. + 1 SD der WHO-Wachstumsstandards) führt zu einem um 23 % erhöhten Adipositasrisiko im Erwachsenenalter. Es gelte also, früh gegenzusteuern und die Säuglinge, die nicht gestillt werden können, nicht zu "überfüttern", erläuterte Jochum.

Anpassung an das physiologische Stufensystem

Die Konsequenzen aus dem frühen Zusammenhang von Ernährung und der Entwicklung von Übergewicht fasst Dr. Mike Poßner, Direktor des Nestlé Nutrition Institutes in Frankfurt a. M. während des 3. Irschenberger Pädiatertreffs am 23. November 2019 [2] wie folgt zusammen: "Wir sehen hier zwei Aspekte. Es geht sowohl um die optimale, am Bedarf orientierte Milchprotein-Zufuhr wie auch um die Entwicklung entsprechender neuer Stufensysteme bei der Zusammensetzung der Anfangs- und Folgemilch. Hierdurch sollen die Verhältnisse bezüglich der Proteinmenge der Muttermilch im Sinne eines Stufensystems bei der Säuglingsnahrung besser abgebildet werden. Folgerichtig sollte zum Beispiel die Folgemilch mit reduziertem Proteinlevel angeboten werden."

Neue EU-Regelung: Folgenahrung mit 1,6 g Protein/100 kcal

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat die Sicherheit und Eignung von Folgemilch mit bedarfsgerecht erniedrigtem Proteingehalt bestätigt. Konsequenterweise fordert auch die Europäische Union, den Proteingehalt der Säuglingsnahrung an die neuen Erkenntnisse anzupassen (Delegierte Verordnung [EU] 2018/561, gültig ab 22. Februar 2020) [3]. Die bisherige EU-Verordnung 2016/127 mit einem Mindestwert von 1,8 g Protein/100 kcal wird damit revidiert. Die neue Verordnung senkt den Mindest-Proteingehalt von Folgenahrung, die auf Basis von intaktem Kuhmilch- oder Ziegenmilchprotein hergestellt wird, auf 1,6 g Protein/100 kcal (0,28 g/100 kJ) und damit unter den Wert von Anfangsnahrung ab. Das erlaube erstmals, ein altersoptimiertes Säuglingsnahrungs-Stufensystem mit bedarfsgerecht erniedrigtem Proteingehalt anzubieten, sagte Poßner.

Außerdem ist nach der neuen Verordnung zu beachten: Verpflichtende Zutaten in der Säuglingsnahrung sind die Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) und Carnitin. Außer für Protein gelten auch für Vitamine und Mineralstoffe neue Höchst- und Mindestwerte. Unterschiede in den Säuglingsnahrungen wird es neben dem tatsächlich enthaltenen, möglichst niedrigen Proteingehalt durch neue, innovative Zutaten wie Humane-Milch-Oligosaccharide oder optionale Zutaten wie Arachidonsäure (ARA) oder Nukleotide geben. In der Zutatenliste kommt es aufgrund der Anpassung der Zusammensetzung zu Änderungen in der Reihenfolge. Einzelne Inhaltsstoffe werden umbenannt, beispielsweise Folsäure in Folat. Nährwertbezogene Angaben auf den Packungen werden weiter eingeschränkt und formalisiert.

Fazit

In der Folgenahrung wäre ein "Zuviel des Guten" also, dem Säugling oder Kleinkind mehr Protein anzubieten, als es für ein gesundes Wachstum benötigt. Das sollte nahe dem in der neuen EU-Verordnung definierten Mindestgehalt von 1,6 g/100 kcal sein.