Dr. Martin Laaß, Kindergastroenterologe am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden und Mitautor der Zöliakie-Leitlinie, warnt eindringlich vor übereilten Schlüssen aus den neuen TEDDY-Daten.

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Dr. Martin Laaß

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

© UKD ZB KOM - Thomas Albrecht))

? Ist eine glutenreiche Ernährung möglicherweise die Erklärung für die steigenden Zahlen von zöliakiekranken Kindern?

Dr. Martin Laaß: Möglicherweise enthalten Fertignahrungsmittel mehr Gluten. Aber dass die Zunahme der Zöliakie durch einen erhöhten Konsum von Gluten verursacht ist, dafür gibt es keinen Beweis. Und das glaube ich auch nicht. Dagegen spricht zum Beispiel, dass in Italien sehr viel mehr Gluten konsumiert wird als in Finnland. Die Inzidenz beziehungsweise Prävalenz der Zöliakie ist aber in Finnland und den skandinavischen Ländern sehr viel höher als in Italien, wo Pasta und Pizza ja Grundnahrungsmittel sind.

? Könnte man nicht die Ergebnisse der TEDDY-Studie als Hinweis auf einen glutenvermittelten Anstieg deuten?

Laaß: Die Studienautoren haben statistisch errechnet, dass mit steigendem Glutengehalt der Nahrung in den ersten Lebensjahren bei genetisch prädisponierten Kindern das Risiko sowohl für Autoantikörper gegen Gewebstransglutaminase als auch für Zöliakie im Alter von drei Jahren zugenommen hat. Es handelt sich dabei um eine Assoziation zwischen der Glutenmenge in der Nahrung und dem Zöliaki-Risiko. Es ist damit nicht bewiesen, dass erhöhter Glutengehalt tatsächlich das Zöliakie-Risiko erhöht. Die errechneten Hazard Ratios, also relativen Risikosteigerungen, können den falschen Eindruck erwecken, dass es sich um große Effekte handelt. Die absoluten Risikosteigerungen sind kleiner und sie betreffen nur Risikopatienten.

Für die Kinder aus Deutschland gilt der Zusammenhang außerdem nur eingeschränkt: Bei ihnen war das adjustierte Risiko, an Zöliakie zu erkranken, nicht signifikant erhöht. Dabei hatten die deutschen Kinder mehr Gluten zu sich genommen als die Kinder in den USA, Schweden und Finnland, im Alter von zwei Jahren mehr als 5 Gramm pro Tag. Es gibt auch eine nicht unerhebliche Kritik an den Methoden der Studie. So wurde der Glutengehalt anhand von Dreitagesprotokollen der Eltern abgeschätzt. Um den Glutengehalt exakt zu ermitteln, bedarf es aber geschulter Diätassistenten. Die Studie beantwortet vor allem nicht die Frage, ob man durch eine glutenreduzierte Ernährung im frühen Kindesalter wirklich eine Zöliakie verhindern kann — oder ob man nur den Ausbruch der Erkrankung nach hinten verschiebt.

? Lassen sich aus den TEDDY-Ergebnissen trotzdem Empfehlungen ableiten?

Laaß: Für Schlussfolgerungen ist es zu früh. Auch die Studienautoren halten sich extrem zurück. Sie schreiben nicht, dass man eine Zöliakie durch glutenarme Ernährung verhindern kann. Solange es keine wissenschaftlich sehr gut begründete Argumentation für eine Glutenreduktion gibt, sollte man auch keine Empfehlung dafür aussprechen. Eine Diät bringt für die Kinder erhebliche Einschränkungen und Belastungen im Alltag. Sie können auf keinem Kindergeburtstag die angebotenen Kuchen und Süßigkeiten essen. Oft sind glutenfreie Fertignahrungsmittel auch ungesünder und kalorienreicher als glutenhaltige, weil das Weizenprotein häufig durch Zucker und Fett ersetzt wird. In der Studie hatten die prädisponierten Kinder ein erhöhtes Zöliakie-Risiko, wenn sie im Alter von zwei Jahren mehr als zwei Gramm Gluten pro Tag zu sich genommen hatten. Zwei Gramm Gluten sind aber schon mit einer Scheibe Brot erreicht. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Ich würde davor warnen, aufgrund dieser Studie eine Empfehlung für einen reduzierten Glutengehalt in der Nahrung von Kinder in den ersten Lebensjahren auszusprechen.

? Die deutsche Zöliakie-Leitlinie wird gerade überarbeitet. Was wird aus der bisherigen Empfehlung, kleine Mengen Gluten zwischen der 17. und 23. Woche in die Beikost einzuführen?

Laaß: Diese Empfehlung wird auf jeden Fall verschwinden, es macht keinen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt Gluten eingeführt wird. Ein Positionspapier der europäischen Kindergastroenterologen empfiehlt, Gluten zwischen dem vollendetem 4. und vollendetem 12. Lebensmonat in die Beikost einzuführen. Die neue Leitlinie wird voraussichtlich Ende 2020 fertig sein.

? Welche Faktoren stehen noch unter Verdacht, zum Anstieg der Zöliakie-Inzidenz beizutragen?

Laaß: Eine Vermutung ist, dass Infektionen, insbesondere Rotavirus-Infektionen als Trigger wirken können. Mit der Einführung der Rotavirus-Impfung als Standardimpfung für Säuglinge ist die Hoffnung verbunden, die Inzidenz der Zöliakie zu senken. Es gibt dazu aktuelle Studien aus Finnland mit widersprüchlichen Ergebnissen: Eine Studie* ergab ein vermindertes Risiko durch die Impfung, eine andere** ergab ein vergleichbares Risiko für Kinder mit und ohne Impfung. Das Mikrobiom scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen. Hier gibt es aber derzeit keine Möglichkeit, therapeutisch zu intervenieren.

Das Interview führte Dr. Beate Schumacher.