Dr. K. Werner Heuschen, Kinder- und Jugendpsychiater aus München, behandelt sowohl die Täter als auch die „in der Regel sympathischeren“ Opfer von Mobbing beziehungsweise „Bullying“. Sein Appell an alle Beteiligten — Eltern, Kinder- und Jugendpsychiater wie auch Lehrer: frühzeitig eingreifen und auch nicht vor disziplinar-rechtlichen Anzeigen zurückschrecken. „Bullying, immer intendiert, um einzelne zu vernichten, ist eine schwere Straftat“, erklärte Heuschen.

Unter Kindern kommt es immer wieder zu Beschimpfungen, auch zu Schubsen oder Späßen auf Kosten einzelner. „Das ist erlaubt“, sagte Heuschen. Die Grenze sei aber erreicht, wenn Beschimpfungen oder Handgreiflichkeiten systematisch erfolgten, mit dem Ziel, jemanden fertig zu machen.

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Bei „Bullying“ in der Schule werden einzelne Kinder von Mitschülern systematisch fertig gemacht.

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Definitionsgemäß trifft „Bullying“ immer einzelne Kinder. Die negativen sozialen Handlungen treten regelmäßig (mindestens 1 Mal pro Woche) und über längere Zeit auf und sind durch eine Täter-Opfer-Beziehung gekennzeichnet. Voraussetzung für rechtliche Schritte sei eine Dauer von mindestens 3 Monaten, berichtete Heuschen. Die negativen Handlungen haben immer eine traumatisierende Wirkung, das Ausmaß der psychosozialen Folgen ist abhängig von der Vulnerabilität des Opfers.

„Bullying“ in sozialen Netzwerken

Besonders gefährlich sei das sogenannte „Cyber-Bullying“ über soziale Netzwerke, so Heuschen. Die öffentliche Bloßstellung und Erniedrigung der Opfer führt zu seelischen Schäden, in Extremfällen sogar zum Suizid. Deshalb sollte möglichst früh gegengesteuert werden. Am besten gelingt dies im Explorationsstadium zu Beginn, bei dem die Täter mittels kleiner Tätlichkeiten oder verbaler Aggressionen ein Opfer suchten. Im Manifestationsstadium sei die Opferrolle hingegen oft irreversibel und häufig ein Schulwechsel erforderlich.

„Prinzipiell kann Bullying jeden treffen“, sagte Heuschen. Häufig seien die Opfer allerdings körperlich auffällig, zum Beispiel übergewichtig oder sichtbar behindert und leicht zu verunsichern.

Als Sonderform nannte Heuschen ADHS-Kinder als sogenannte provozierende Opfer. Aufgrund ihrer Hyperaktivität und ihrer Konzentrationsstörungen oder auch des Wechsels zwischen ängstlichen und aggressiven Verhaltensweisen bieten sie ihren Mitschülern Angriffsflächen. Nicht selten werden aus solchen Opfern später Täter.

Wer sind die Mobber?

Die Täter seien oft größer und stärker als ihre Opfer, meist sehr selbstbewusst und hätten große Machtansprüche, berichtete Heuschen. Typisch sei auch ein hoher Grad an Aggressivität und wenig Empathie. Täter zeigten sich in ihren sozialen Beziehungen oft manipulativ und strebten nach Vorherrschaft in der Gruppe. Die Gruppe schaut zu und unterstützt.

Neben direktem und „Cyber-Bullying“ gibt es auch indirektes „Bullying“ — Verbreitung von Gerüchten und Verleumdungen bei gleichzeitiger Vermeidung von direkten Kontakten — und relationales „Bullying“. Bei letzterem zielen alle Handlungen darauf ab, das Opfer in seiner Beziehung zu anderen zu schädigen.

Mädchen sind beim „Bullying“ übrigens nicht viel besser als Jungs. Gerade in Mädchenschulen gebe es häufig ein ganz perfides „Bullying“ über Klassenchats, sagte Heuschen, in dem zum Beispiel über das Aussehen der Opfer hergezogen werde.

Wie kann geholfen werden? Für Einzel- oder Gruppeninterventionen konnten bisher keine eindeutigen Effekte nachgewiesen werden. Umso wichtiger seien präventive und institutionelle Maßnahmen in der Schule. Vorbeugend wirke auch, primäre Grundstörungen von Kindern frühzeitig zu behandeln.