Wenn man — wie in diesem Jahr durch sehenswerte Ausstellungen in München und Köln — an die Malerin Gabriele Münter erinnert wird, kommen einem sofort Murnau und das Münterhaus, genannt „Russenhaus“, in den Sinn. Vor allem aber ihre unglückliche Beziehung zum Maler Wassily Kandinsky (1866–1944). Münter gilt als zentrale Künstlerfigur des deutschen Expressionismus. Weniger denkt man bei ihr an „Gabriele Münter und die Kinderwelt“, die Gisela Kleine 1997 in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben hat. Zu Münters Kinderwelt gehört der expressionistisch gemalte „Knabenkopf“ von Willi Blab (1908), einem Jungen aus der Nachbarschaft. Münter hatte für den Hintergrund des Kinderbildnisses ein intensives Gelb gewählt, flächige Farben lassen auch die Gesichtszüge und Ohren leuchten.

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Gabriele Münter „Knabenkopf (Willi Blab“ (1908)

© VG Bild-Kunst, Bonn 2018; Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München

Die Welt der Kinder nahm im Schaffen Münters einen bedeutenden Platz ein. Auf Linolschnitten hat sie das Spielzeug ihrer Nichte und ihres Patenkindes Friedel Schroeter dargestellt. Für sie zeichnete Münter zwischen 1906 und 1910 Geschichten; so entstand ein Bilderbuch, das auch Zeichnungen von ihrem Lebensgefährten Kandinsky und der befreundeten Malerin Marianne von Werefkin (1860–1938) enthält. Später näherte sie sich der Bildsprache von Kindern, indem sie Repliken von Kinderzeichnungen schuf. Ab etwa 1908 arbeitete Münter für ihre Kinderporträts mit neuen, in Murnau erarbeiteten Stilprinzipien. Dabei verwendete sie unvermischte Farben und betonte mit dunklen Umrisslinien einen einfachen Bildaufbau nach den Gestaltungsprinzipien des Fauvismus. Typisch dafür ist ihr „Mädchen mit Puppe“ (1908/09) in den leuchtenden Farben Rot und Ultramarin.

Die Seele des „Blauen Reiters“

Bereits in der Schulzeit zeigte sich die künstlerische Begabung der in Berlin geborenen Münter. Ihre wohlhabenden deutsch-amerikanischen Eltern, die früh starben, unterstützten früh ihre Malereiausbildung. Nach privaten Zeichenunterricht in einer Damen-Kunstschule in Düsseldorf zog sie 1901 mit 24 Jahren nach München. An Kunstakademien wurden aber zu dieser Zeit Frauen nicht aufgenommen. So trat sie in die „Phalanx-Schule“ des Künstlerinnen-Vereins von Wassily Kandinsky ein. Dieser wurde nicht nur ihr persönliche Lehrer, sondern auch — obwohl verheiratet — ihr Geliebter und versprach ihr die Ehe. Ihr künstlerischer Durchbruch gelang ihr mit der gemeinsamen Ausstellung 1911 in Murnau, an der auch Franz Marc (1880–1916) teilnahm.

In Murnau kam es zu der bedeutenden Zusammenarbeit zwischen den befreundeten Künstlerpaaren Marianne von Werefkin und Alexey Jawlenksy (1865–1941) sowie Kandinsky und Münter. Dazu gesellten sich die Maler Franz Marc, August Macke (1887–1914) und der Komponist Arnold Schönberg (1874–1951). Sie alle spielten eine entscheidende Rolle bei der Gründung der expressionistischen „Neuen Künstlervereinigung München“ (1908) und, nach deren Zerwürfnis, von „Der Blaue Reiter“ (1912).

Nachdem Kandinsky zu Kriegsbeginn in seine Heimat Russland gezogen war, lebte Gabriele Münter zwischen 1915 und 1920 in Skandinavien, um ihrem Geliebten näher zu sein. 1917 aber verschwand Kandinsky kommentarlos aus ihrem Leben und heiratete in Russland ein zweites Mal, ohne dass Münter zunächst davon erfuhr. 1926 meinte sie, sie sei doch in vieler Augen nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky gewesen. Dabei hatte sie farbintensive Porträts ihrer Künstlerfreunde, romantische bayerische Landschaften und mehr geschaffen. 1929 fand sie in dem Kunsthistoriker Johannes Eichner (1886–1958) einen neuen Lebenspartner. Während der Zeit des Nationalsozialismus hatte man ihre Ausstellungen verboten. Erst 1949 konnte sie sich mit der Teilnahme an der Gedächtnisausstellung „Der Blaue Reiter in München“ aus dem Schatten Kandinskys lösen. 1957 vermachte sie anlässlich ihres 80. Geburtstages ihre Sammlung mit vielen Gemälden von Kandinsky und anderen „Blaue Reiter“-Künstlern der Stadt München. 1962 starb Gabriele Münter und wurde in Murnau begraben.