figure 1

Prof. Dr. med. Walter Dorsch

figure 2

Prof. Dr. phil. Klaus Zierer

! Prof. Dorsch: Der Kinderarzt ist versucht, ein entsprechendes Attest zu schreiben, noch dazu, wenn er Mutter und Tochter gut kennt, sie sympathisch findet und beide einhellig die Lehrerin als böswilliges Monster schildern. Aber, hier ist Vorsicht angebracht: Der Kinderarzt kann hier sehr schnell sehr viel falsch machen, indem er einseitig Partei ergreift. Man tut gut daran, sich eine systemische Betrachtungsweise anzueignen: Mit dem Eintritt in die Schule wird nicht nur der Aktionsradius der Kinder, sondern auch ihr Interaktionsradius größer. Es sind viele Mitspieler beteiligt: Welche Einstellung bringen die Eltern der Schule gegenüber mit? Wie können sich Lehrer, Vater und Mutter untereinander verständigen? Welche Erziehungsstile halten sie für richtig? Welche Rolle spielt das Kind in der Klassengemeinschaft? Wie ist die Beziehung zwischen der Lehrkraft und der Klasse?

Es ist ein großer Unterschied, ob das Kind damit rechnen kann, dass die Eltern ihm grundsätzlich den Rücken stärken, aber durchaus auf der Einhaltung von Regeln bestehen, oder ob es davon ausgehen kann, dass die Eltern im Kampf gegen die autoritäre Schule alle, notfalls auch juristische, Mittel einsetzen. Ich habe Elternabende erlebt, in denen sich Väter gegenseitig überboten, Lehrer massiv und destruktiv anzugreifen. Sie waren schlimmer als ihre ungezogenen Söhne (stammten aber nicht, wie man vermuten könnte, aus einem Problemviertel). Es macht einen großen Unterschied, ob sich Helikopter-Eltern, die der Schule bei jeder Gelegenheit mit dem Rechtsanwalt drohen, über eine Lehrkraft ärgern, oder ob eine frustrierte Lehrerin der Mutter des Kindes Beliebtheit und beruflichen Erfolg neidet und das, bewusst oder unbewusst, den aufsässigen Knaben spüren lässt.

! Prof. Zierer: Erziehungswissenschaftliche Studien bestätigen immer wieder: Der Leistungsunterschied zwischen zwei Klassen an ein und derselben Schule ist häufig viel höher als der Leistungsunterschied zwischen den Klassen verschiedener Schulen. Entscheidend für Schulerfolg sind also weniger die Strukturen, sondern die Lehrpersonen! Es macht also wenig Sinn, für sein Kind augenscheinlich die beste Schule auszusuchen. Wenn man etwas aussuchen können sollte, dann wären es die Lehrer. Was bleibt also? Kooperation ist die einzige Antwort.

Je besser es gelingt, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, desto erfolgreicher wird Schule. Dabei gilt grundsätzlich: Prävention ist besser als Intervention. Eltern sollten also stets im Kontakt mit den Lehrern sein, Elternsprechtage und Elternsprechstunde besuchen. Nur so kommt man in den Austausch, der Grundlage für Kooperation ist. Und diese basiert nicht nur auf Wissen und Können, sondern auch und vor allem auf Werten. Ganz konkret führen beispielsweise unterschiedliche Haltungen bei Fragen zur Bedeutung der Hausaufgaben, zum Stellenwert von Fehlern und zum Umgang mit Lernenden immer wieder zu Unverständnis auf allen Seiten. Hier muss an einem gemeinsamen Wertekosmos gearbeitet werden.

Bei Konflikten lohnt sich zudem ein Blick auf das Vier-Ohren-Modell von Watzlawick: Bei jeder Kommunikation gibt es eine Sachebene, eine Ebene der Selbstoffenbarung, eine Beziehungsebene und eine Ebene des Appels. Erklären Sie dieses Modell den Eltern und machen ihnen damit sichtbar, dass Konflikte verschiedene Ursachen haben können und es an allen Beteiligten liegt, diese Konflikte bestenfalls zu vermeiden beziehungsweise schnell zum Wohl des Kindes zu lösen. Oberstes Gebot bei Problemen ist damit, die Ursachen zu finden und nicht an den Symptomen herumzudoktern. Eltern sollten also immer wieder versuchen, Koalitionen mit ihren Kindern und deren Lehrpersonen zu schmieden. Konflikte helfen keinem. Weniger tröstlich, aber doch wahr ist auch der Schluss, dass Schule immer eine Schule des Lebens ist. Wir können uns nicht immer aussuchen, mit wem wir wann zu tun haben.