Etwa jedes neunte Kind wird vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (SSW) geboren. Bei einem Gestationsalter von der vollendeten 28. bis zur 32. Woche spricht man von „sehr früh Geborenen“; vor der vollendeten 28. Woche von „extrem früh Geborenen“. 2014 kamen in Deutschland mehr als 1.900 von 714.000 Kindern vor der vollendeten 26. SSW zur Welt. Dr. Silke Streiftau, Ulm, konstatierte: „Immer mehr sehr früh geborene Kinder überleben ohne schwerwiegende körperlich-motorische und geistige Behinderungen. Sie zeigen jedoch im weiteren Verlauf oftmals kognitive Einschränkungen, Lernschwächen, Leistungsdefizite und Schulprobleme.“ Diese seien bei der Nachuntersuchung mit dem Bayley-Test im zweiten Lebensjahr noch nicht gut messbar.

In einer Studie untersuchten die Neonatalzentren in Ulm und München-Großhadern die Auswirkungen einer extrem vorzeitigen Geburt. Eingeschlossen waren drei Viertel aller Extrem-Frühchen der Jahrgänge 1999–2003 (n = 79). Zum Zeitpunkt der Entbindung hatten sie ein Gestationsalter von 22+0 bis 23+6, „an der Grenze der Lebensfähigkeit“, so die Pädiaterin. Bei der Studienauswertung waren sie 7–10 Jahre alt.

„Unsere Untersuchungen zeigten bei 14 % der Kinder eine Zerebralparese“, berichtete Streiftau. Im Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK) fand sich bei 18 % der Teilnehmer eine geistige Behinderung. 48 % hatten einen IQ < 85 und nur sehr wenige erreichten 116–130 Punkte. Die entwicklungsneurologisch-sensorische Langzeitprognose fiel jedoch überwiegend gut aus: Mehr als drei Viertel der Kinder zeigten keine (41 %) oder nur eine milde Beeinträchtigung (35 %) ihrer Kognition. „Bei 11 % fanden wir eine moderate und bei weiteren 13 % eine schwere Beeinträchtigung“, sagte Streiftau.

Bei der Mehrheit der Kinder (61 %) hatten sich irgendwann Entwicklungsauffälligkeiten gezeigt. Jedes dritte hatte einen Behindertenausweis mit einem Behinderungsgrad ab 50 %. Diese Kinder hatten einen hohen Förderbedarf hinsichtlich Logopädie, Ergotherapie und Krankengymnastik. Andererseits besuchten 55 % der Kinder eine reguläre Schule. Hier hatten 34 % eine Diagnose für (mindestens) eine Teilleistungsstörung, jedes fünfte Kind hatte soziale Probleme mit den Mitschülern und ebenso viele hatten eine ADHS. 6 % der 7–10-jährigen Kinder wiesen Störungen aus dem Autismus-Spektrum auf.

„Ein bedeutender Anteil der Frühgeborenen wächst nicht einfach aus den anfänglichen Schwierigkeiten heraus, sondern diese verlagern sich lediglich von der strikt medizinisch-körperlichen Ebene auf eine mehr kognitiv-psychologisch-pädagogische Ebene“, erklärte Streiftau. „Viele der von uns beobachteten Einschränkungen werden mit den üblichen Definitionen nicht erfasst“, gab sie zu bedenken und wünschte sich mehr Aufmerksamkeit für die langfristigen Bedürfnisse der Frühgeborenen: „Wir müssen ihre möglichen Entwicklungs-, Lern- und Verhaltensprobleme stärker in den Blick nehmen.“

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