figure 1

Prof. Dr. phil. Klaus Zierer Ordinarius für Schulpädagogik Universität Augsburg

figure 2

Prof. Dr. med. Walter Dorsch Kinder- und Jugendarzt München

? Eine Mutter und ihr 9-jähriger Sohn sitzen gemeinsam im Behandlungszimmer, beide hinter einem iPad.Dann die klassische Frage: „Herr Doktor, Herr Doktor, wie viel Zeit darf er mit dem iPad verbringen?“

! Prof. Zierer: Technischer Fortschritt bringt Chancen mit sich, aber auch Risiken. Eltern müssen diese Abwägung treffen und in Abhängigkeit von Alter und Entwicklungsstand des Kindes entscheiden. Dabei wird wichtig sein, dass Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung auch den Kindern und Jugendlichen von Anfang an bewusst gemacht werden, um sie zu einem kritisch-konstruktiven Medieneinsatz hinführen zu können. Das ist das Ziel von Erziehung im Zeitalter der Digitalisierung: Menschen müssen wissen, wann es sich lohnt, digitale Medien einzuschalten, und wann es besser ist, sie auszuschalten.

Beispielweise geschieht das durch die Reflexion des Fernseh- und Internetkonsums oder das Analysieren der Kommunikation über Smartphone im Vergleich zu einer Face-to-Face-Interaktion. Des Weiteren empfiehlt es sich, gemeinsame Regeln des Medienkonsums zu vereinbaren und auf deren Einhaltung von allen Seiten — auch von den Eltern! — zu bestehen. Beispielsweise keine Handynutzung am Esstisch oder beim Auto- beziehungsweise Fahrradfahren, kein Handytransport in den Hosentaschen oder kein zu langes Telefonieren mit dem Handy ohne Kopfhörer, keine Internetzeiten vor dem Zubettgehen und vieles andere mehr. So ist auch manchen Eltern klar zu machen, dass es besser wäre, weniger mit dem Handy zu spielen und mehr Aufmerksamkeit den Kindern zu schenken (z. B. beim Stillen!).

Und es lohnen sich bewusste analoge Zeiten: gemeinsames Spazierengehen, Spielen und selbst gemeinsames Langweilen, was der Ursprung für Gespräche, Interaktion und Kreativität sein kann. All das Gesagte nicht aufgrund einer romantischen Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, sondern weil wir aus vielen Studien wissen, dass wir Menschen das Gegenüber brauchen, um uns zu erkennen und daran zu wachsen. Nicht Maschinen machen Menschen zu Menschen, sondern Menschen brauchen Menschen!

! Prof. Dorsch: Den kritischen Zeitgenossen schaudert, wenn er sich vor Augen hält, mit welcher Naivität wir ins digitale Zeitalter stolpern. Eine Technologie, die ursprünglich den Menschen freie Information und Kommunikation versprochen hatte, erscheint heute so manchem zu Recht wie die Büchse der Pandora. Man muss nur nach China und in andere autokratisch regierte Länder blicken, wo mit digitaler Hilfe Überwachungssysteme etabliert werden, die man sich früher nie hätte vorstellen können! Man muss sich nur von Kindern und Lehrern persönliche Erlebnisse im Cybermobbing schildern lassen! Man muss fast täglich Eltern erklären, dass sie, wenn sie ihre Kleinkinder mit iPad oder Spielkonsolen ruhigstellen, ein Vielfaches der eingesparten Zeit werden aufwenden müssen, um spätere Aufmerksamkeits-, Schul- und soziale Probleme auszugleichen. Man muss nur miterleben, wie Jugendliche in ihren digitalen Filterblasen eingefangen und in jede, auch kriminelle und suchterzeugende Richtung manipuliert werden. Schließlich muss man nur Politiker beobachten, die Computer statt besser qualifizierte Lehrer zur Behebung der Bildungsmisere aufbieten wollen. Spätestens dann wissen wir, wie fahrlässig diese Technologie überall missbraucht wird und wie sehr verantwortungsvolles Handeln nötig ist.

Der besorgten Mutter musste ich sagen: „Wenn ich Sie beide so sehe: viel weniger! Warum nutzen Sie die Zeit hier nicht für ein echtes Gespräch? Lassen Sie uns darüber reden, ob eine Stunde pro Tag nicht genügt! Zu dritt!“