Avoid common mistakes on your manuscript.
Nach einem Erlebnis wie einem Amoklauf sind Angst und Trauer normale Belastungsreaktionen. Wann ein Kind oder Jugendlicher aber an einer Traumafolgestörung leidet, erklärt Prof. Dr. Thomas Elbert von der Universität Konstanz im Interview.
? Manche Schüler überstehen einen Amoklauf ohne psychische Langzeitfolgen, andere entwickeln behandlungsbedürftige Störungen. Woran liegt das?
Prof. Dr. Thomas Elbert: Gerade Kinder haben sehr positive Grundannahmen über die Welt, die Welt ist sicher, man kann anderen Menschen vertrauen. Diese Annahmen werden durch einen Amoklauf erschüttert, aber nicht bei jedem in gleichem Maß. Wenn ich das Ereignis als Ausnahmesituation betrachte, wird das diese Grundannahmen nicht außer Kraft setzen. Das ist anders, wenn viele belastende Erfahrungen wie häusliche Gewalt, Vernachlässigung oder emotionaler Stress hinzukommen, wenn sich Hilflosigkeit, Schrecken, maximale Angst wiederholen. Je mehr belastende Erfahrungen gemacht werden, desto vulnerabler sind die Menschen für Traumafolgestörungen wie posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen oder Angststörungen. Das ist ein Baustein-Effekt. Das heißt, Traumafolgestörungen treffen vor allem Kinder, die die Angst während des Amoklaufs mit den Angsterfahrungen im täglichen Umfeld in Verbindung bringen.
? Ab welchem Zeitpunkt sind psychische Probleme nicht mehr einer „normalen“ Belastungsreaktion zuzurechnen, sondern sollten an eine Folgestörung denken lassen?
Elbert: Angst und Trauer gehören zu einer normalen akuten Belastungsreaktion. Die Trauer kann auch länger anhalten. Pathologisch ist, wenn das zu absurden Verhaltensweisen führt, wenn das Kind zum Beispiel jeden Morgen an der Bushaltestelle auf einen getöteten Mitschüler wartet. Das ist keine normale Trauer, sondern die Vermeidung des Wahrhabens. Albträume und Schlafstörungen sollten nach drei Monaten vorbei sein. Wenn sie länger anhalten, sollte man von der Möglichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgehen.
? Kann man Kinder nach einer solchen extremen Gewalterfahrung davor schützen, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln?
Elbert: Die wissenschaftliche Evidenz dafür ist begrenzt, aber es gibt Hinweise. Wenn ich die Gefahr kontextualisiere und sie einem Ort in der Vergangenheit zuordne, dann habe ich keine Angst mehr im Hier und Jetzt oder vor der Zukunft. Die Störungsbilder sind dadurch angetrieben, dass diese Vergeschichtlichung nicht stattfindet.
Es ist daher gut, wenn Eltern, die merken, dass der Amoklauf ihre Kinder beschäftigt, mit ihnen über ihre Gefühle sprechen. Für das Kind ist es wichtig zu wissen, dass die Angst in diese Szene gehört und nicht ins Hier und Jetzt. Viele glauben ja, man sollte besser nicht über das Trauma reden — das ist falsch. In der Psychologie wissen wir, dass die Aufforderung „Denke nicht an das rote Nashorn!“ nicht funktioniert. Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung können ihre Gedächtnisunterdrückung noch schlechter regulieren.
? Wie können junge Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, in ein Leben zurückfinden, das nicht von dem Trauma dominiert wird?
Elbert: Allen PTBS-Therapien ist gemeinsam, über die bedrohliche Erfahrung zu sprechen und sie dadurch neu im Gedächtnis zu sortieren. Für Kinder haben sich die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie und die narrative Expositionstherapie in randomisierten kontrollierten Studien als effektiv erwiesen. Schwerpunkt der kognitiven Verhaltenstherapie ist, die mit dem Trauma verbundenen Gedanken richtig einzuordnen und fehlerhafte Annahmen wie „ich bin ständig bedroht“ zu korrigieren. Bei der von uns entwickelten narrativen Expositionstherapie wird eine Erzählung erstellt, was wann wo und mit welchen Gedanken und Gefühlen passiert ist, um das Trauma bedeutungsbildend in den damaligen Kontext einzubetten. Dabei wird das ganze Leben betrachtet, während die kognitive Verhaltenstherapie primär auf den Amoklauf fokussiert.
? Amokläufe und Terror sind auch in deutschen Schulen ein Thema. Was sollte vonseiten der Schulen bei der Kommunikation oder bei Notfallübungen beachtet werden?
Elbert: Ich halte das alles für Blödsinn. Das ist eine Überregulation, die der Gefahr nicht gerecht wird und vor allem das Ziel hat, die Eltern zu beruhigen. Solche Übungen wecken nicht nur unnötige Ängste, sie können eine Amoktat sogar eher interessant machen.
Amoktäter sind Menschen, die kein gutes Leben und keine Perspektiven haben, die beschämt sind. Wenn man Opfer von Mobbing und sozial isolierte Schüler in die Gemeinschaft aufnehmen und den Arm um sie legen würde — das wäre Prävention.
Author information
Consortia
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Springer Medizin. „Nicht über das Trauma sprechen, ist falsch“. Pädiatrie 30, 10 (2018). https://doi.org/10.1007/s15014-018-1376-8
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s15014-018-1376-8