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Die Zirkumzision sollte nur bei Phimose-Beschwerden erfolgen, sofern eine konservative Behandlung nicht genügt. Darauf verweist Prof. Dr. Maximilian Stehr aus Nürnberg.
? Die neue Phimose-Leitlinie hält eine Beschneidung nur in wenigen Ausnahmefällen für indiziert. Hat hier ein Umdenken stattgefunden?
Prof. Maximilian Stehr: Wir machen mit der Leitlinie deutlich, dass eine Zirkumzision keine Bagatelle ist. In den Empfehlungen setzen wir den operativen Eingriff daher nicht an erster Stelle, sondern stellen ihn hintenan. Das war in der alten S1-Leitlinie nicht so klar ersichtlich. Die Beschneidung ist eine Operation und nicht nur ein kleiner Eingriff, den man eben mal mitmacht. Jede Operation ist vor dem Gesetz zunächst einmal eine schwere Körperverletzung. Um als Arzt dennoch straffrei zu bleiben, bedarf es unter anderem einer medizinischen Indikation sowie der Einwilligung des Patienten. Dies gilt also auch für die Beschneidung. Aus gutem Grund: So beschweren sich immer mehr Männer, dass sie als Kind beschnitten worden sind, obwohl das medizinisch nicht nötig war.
? Hat man das früher laxer gehandhabt?
Stehr: Wurde ein Junge wegen einer Leistenhernie operiert und fanden die Ärzte dabei eine Vorhautenge, die für das Alter aber möglicherweise noch physiologisch war, dann haben sie die Vorhaut häufig entfernt, nach dem Motto: Jetzt ist das Kind schon unter Narkose, dann machen wir das mit und das Problem ist gelöst. Das darf nicht sein! Daher haben wir geschrieben: Eine Therapie sollte nur dann erfolgen, wenn die Phimose Beschwerden verursacht, und nicht einfach, weil sie da ist.
? Auch wenn sie bis in die Jugend persistiert?
Stehr: Es schreibt niemand vor, wann sich eine Phimose gelöst haben muss. Früher hieß es, die Vorhaut muss sich bis zum Schulalter zurückstreifen lassen. Das ist Unsinn, das kann auch erst mit 15 Jahren passieren. Wichtig ist es, etwaig existierende Beschwerden zu beachten. Wir müssen uns daher vom Präventionsgedanken lösen, also von der Vorstellung: Der Junge hat zwar noch keine Probleme, könnte aber welche bekommen, wenn wir nicht beschneiden. Das trifft auch auf die Verhinderung von Harnwegsinfekten zu. Es wurde immer gesagt, die Beschneidung verhindert solche Infekte, was auch stimmt — das Risiko sinkt etwa um den Faktor 10. Aber bei der geringen Inzidenz von etwas über 1 % müsste ich über 100 gesunde Kinder beschneiden, um einen einzigen Harnwegsinfekt zu verhindern. So etwas macht keinen Sinn.
? Wann würden Sie zu einer Beschneidung raten?
Stehr: Bei Kindern und vor allem Säuglingen mit assoziierten schweren Uropathologien, etwa bei einem hochgradigen vesikorenalen Reflux, wenn trotz antibiotischer Langzeitprophylaxe immer wieder Durchbruchsinfekte auftreten — da haben wir gerade bei Säuglingen kaum eine andere Möglichkeit. Solche Kinder profitieren ganz klar von einer Zirkumzision und einer Reduktion der Harnwegsinfektionsrate um den Faktor 10. Oder bei Jungen mit hinteren Harnwegsklappen, da ist die Datenlage noch deutlicher.
? Gibt es Druck von Eltern, die sagen, das Kind hat eine Phimose, also muss die Vorhaut weg?
Stehr: Bei einem bestimmten soziokulturellen Hintergrund — der muss nicht unbedingt religiös sein — kann schon Druck aufkommen, etwa dann, wenn es in der Familie so Usus ist. Rede ich mit den Eltern über mögliche Komplikationen und Folgen der Prozedur und mache ich ihnen klar, dass ich nur operiere, wenn es dafür einen medizinischen Grund gibt, dann sind sie oft dankbar und akzeptieren das.
? An der Leitlinie haben auch Psychotherapeuten und eine Selbsthilfegruppe mitgewirkt. Weshalb?
Stehr: Es war mir sehr wichtig, auf die psychischen Folgen einzugehen. Die Kinder sind bei der Prozedur in der Regel in einem nicht einwilligungsfähigen Alter. Erfolgt die Zirkumzision ohne medizinische Indikation, stellt sich die Frage, inwieweit Eltern im Rahmen des Sorgerechtes hier für ihre Kinder entscheiden können. Das Sorgerecht erstreckt sich nämlich nur zum Wohle des Kindes. Hier war der Beitrag der Betroffenen-Selbsthilfegruppe sehr wichtig: Diese Betroffenen sagen, wir fühlen uns übergangen, es ist ohne unser Einverständnis und nicht zu unserem Wohl geschehen. Das muss man ernstnehmen.
Der Psychoanalytiker und Facharzt für Psychosomatische Medizin, Professor Matthias Franz, hat uns klar gemacht, dass Eingriffe am Genitale bei Kindern auch gravierende psychische Langzeitfolgen haben können. Gerade Jungen im Vorschulalter reagieren darauf sehr empfindlich und können Kastrationsängste oder andere Störungen entwickeln. Daher muss allen Ärzten klar sein: Die Beschneidung bedarf einer medizinischen Indikation. Ansonsten hat der Urologe oder Kinderchirurg am Genitale des Buben nichts verloren.
! Herr Professor Stehr, vielen Dank für das Gespräch.
Literatur
Das Interview führte Thomas Müller.
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Springer Medizin. „Eine Beschneidung ist keine Bagatelle“. Pädiatrie 30, 51 (2018). https://doi.org/10.1007/s15014-018-1306-9
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