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Herr Kollege Manfred Cierpka führt in der Zeitschrift Pädiatrie 3/2017 aus, Dreimonatskoliken seinen für ihn ein Mythos. Das mag aus seiner psychologischen Sicht begründbar sein. Dennoch sollte man aber schlichte somatische Ursachen nicht übersehen. Daher ist es gut, dass er wenigstens den gastro-ösophagealen Reflux (GÖR) erwähnt, eine gut bekannte Ursache postprandialen Schreiens. Andere somatische Ursachen werden aber zugunsten möglicher psychischer Ursachen ignoriert.

Meine Arbeitsgruppe hat in den 1970er-Jahren nachgewiesen, dass eine stark schäumbare Nahrung dann, wenn dieser Schaum sehr stabil ist, einen wesentlich größeren Bauchumfangs-Zuwachs beim Trinken erzeugt, als kaum schäumende Milch [von Loewenich V et al. Die sogenannten Dreimonats-Koliken. Ätiologie und Therapie des Meteorismus junger Säuglinge. Päd Prax 1982;26:477–86]. Typisch dabei ist, dass das Geschrei 10–20 Minuten nach der Fütterung schaumstabiler Nahrung aufzutreten pflegte, wenn das gesättigte Kind doch eigentlich besonders zufrieden sein sollte. Diese Kinder können nicht aufstoßen (das berühmte Bäuerchen). Schaum kann man nicht aufstoßen, im Gegensatz zu großen Luftblasen. Wir konnten zeigen, dass nach Zusatz von Simethicon zur Flaschennahrung diese nicht mehr schäumte und die Zunahme des Bauchumfangs bezogen auf die jeweilige Trinkmenge hoch signifikant reduziert wurde. Gleiches war bei Kindern zu konstatieren, die über eine Magensonde ernährt werden mussten und kein Simethicon erhielten.

Also dürfte ein Aufschäumen der Nahrung durch den Schluckakt eine wesentliche Rolle spielen. Wird gestillt, dann kann man Simethicon (oder auch Dimethicon) nur vor und intermittierend während der Nahrungsaufnahme geben, um einen Effekt zu erzielen. In einer weiteren Untersuchung wurde jedoch bestritten, dass Simethicon einen Effekt habe [Metcalf TJ et al. Simethicone in the Treatment of Infant Colic: A Randomized, Placebo-Controlled, Multicenter Trial. Pediatrics 1994;94:29–34]. Allerdings wurde in dieser Studie sehr niedrig dosiert und nicht genau genug festgelegt, wie die 0,3 ml Simethicon-Tropfen von den Müttern (!) gegeben werden sollten. Es wurde das Schreiverhalten registriert, nicht die Zunahme des Bauchumfangs bezogen auf die Trinkmenge.

Man muss vor allem wissen, dass eine Wirkung nur durch die Behandlung der Nahrung selbst zu erzielen ist. Simethicon, oder genauso Dimethicon, muss sich mit der Nahrung vermischen, um wirken zu können. Man muss daher den Müttern genau erklären, dass es sich hier nicht um eine Behandlung des Kindes handelt, sondern um eine der Nahrung. Schreit das Kind erst einmal, dann kann man so viel Dimethicon/Simethicon hinterher schütten wie man will, es wirkt nicht, da sich diese Substanzen dann im Magen über die Milch schichten und nicht hinreichend mit dieser mischen. Dass sich Nahrungen im Magen tatsächlich über einander schichten, hat Deuticke (Göttingen) in den 1940er-Jahren in seinen Vorlesungen schlagend demonstriert (mündlicher Bericht von Otto Hövels, damals dort Vorlesungsassistent und später in Frankfurt a.M. mein pädiatrischer Lehrer).

Wichtig ist ferner, dass diese praktisch nicht resorbierbaren Substanzen in genügender Dosierung verabfolgt werden; die Angaben hierzu in den Beipackzetteln sind meist zu niedrig. Schließlich handelt es sich nicht um eine pharmakologische Wirkung, sondern um eine physikalische. In den 1970er-Jahren war eine Milchformel weit verbreitet, die besonders stark und stabil schäumte. Ich hatte damals eine ganze Reihe von jungen Säuglingen in der Sprechstunde, deren Mütter mir zum Teil weinend berichteten, man habe ihnen eröffnet, das Geschrei ihres Lieblings beruhe auf einem gestörten Mutter-Kind-Verhältnis. Eine solche Beratung war bestens dazu geeignet, die Mütter vollends zu verstören. Nach Verordnung von Simethicon waren die Seelen dann wieder gesund.

Allerdings sollte man nicht den Fehler machen, diese Koliken ausschließlich auf Eigenschaften oder Unverträglichkeiten der Nahrung zu schieben. Der GÖR wurde oben bereits erwähnt. Dass er durch erhöhten intra-abdominellen Druck provoziert werden kann, ist verständlich. Kaum bekannt sind erstaunlicherweise nach der Mahlzeit heraustretende kleine epigastrische Hernien, die man meistens nicht sieht, aber bei Palpation der Linea alba tasten kann. Deren Reposition stillt Schmerz und Geschrei augenblicklich. Eine zweimal erlebte seltene, aber hochgefährliche Ursache war eine eingeklemmte Morgagnische Zwerfellhernie, nach deren Operation die Kinder nie mehr postprandial schrien.