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Bei uneindeutigem Geschlecht wird heute nicht gleich zum Skalpell gegriffen. Jedoch ist gerade beim Adrenogenitalen Syndrom (AGS) die Entscheidung über den Zeitpunkt der OP besonders schwierig.
? In der neuen Leitlinie wird von der frühen Festlegung des Geschlechts von Kindern abgeraten, wenn diese nicht eindeutig als männlich oder weiblich eingeordnet werden können. Vielmehr sollen die Kinder in die Entscheidung einbezogen werden, wenn sie dazu in der Lage sind. Wie wird diese neue Empfehlung in der Praxis umgesetzt?
Prof. Susanne Krege: Unter den Medizinern findet diese Empfehlung zunehmend Zustimmung. Uneinigkeit besteht vielmehr unter den Selbsthilfegruppen. Eltern von Kindern mit Adrenogenitalem Syndrom wünschen auch heute noch mehrheitlich eine frühe Operation. Allerdings sehen sie sich auch gar nicht der Gruppe von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung zugehörig.
? Was geschieht, wenn die Eltern dennoch zu einer frühen Operation drängen?
Krege: In diesem Fall sollte man eine interdisziplinäre Gruppe zusammenrufen, an der auch ein Ethiker teilnimmt, und den Einzelfall nochmals ganz genau betrachten. Rechtlich ist noch nichts festgelegt, aber das wird wohl dieses Jahr geschehen. Man hat unter anderem auf die Leitlinie gewartet.
? Ab welchem Alter sind Kinder in der Lage mitzuentscheiden?
Krege: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies schon ab elf oder zwölf Jahren möglich ist. Auch hier ist es sicherlich gut, einen Psychologen, der sich speziell mit dieser Problematik auskennt, in den Prozess einzubeziehen.
? Die aktuelle Empfehlung lautet, geschlechtsangleichende urogenitale Operationen beim nicht einwilligungsfähigen Kind nur noch bei medizinischer Indikation vorzunehmen. Welche Indikationen sind relevant?
Krege: Eine medizinische Indikation liegt etwa vor, wenn der Sinus urogenitalis sehr eng ist, sodass der Urin nicht richtig herausfließen kann und immer wieder Harnwegsinfekte auftreten. Dann kann es nötig sein, die Öffnung zu erweitern. Das heißt aber nicht, dass man gleich die komplette OP macht, man beseitigt nur das akute Problem.
? Bei Mädchen mit AGS wird auch heute oft noch sehr früh operiert. Jetzt streiten sich sogar verschiedene Interessenverbände, ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist. Wie sehen Sie das?
Krege: Als günstigstes Zeitintervall für die OP wurde ein Alter von einem bis eineinhalb Jahren empfohlen. Von vielen Ärzten wurde der Eingriff in einer Sitzung durchgeführt, andere verkleinerten aber auch zunächst nur die Klitoris und führten die Vaginalplastik erst zu Beginn der Pubertät durch. Letzteres Vorgehen entsprach auch dem meinen, weil die Mädchen nach der Operation die Scheide bougieren sollten. Zu Beginn der Pubertät kann man das den Mädchen beibringen. Sie verstehen, warum es wichtig ist, und führen es dann auch durch. Der frühe Zeitpunkt der OP ist heute Streitpunkt zwischen den Interessengruppen. Die AGS-Eltern- und Patienteninitiative und Intersexuelle Menschen e.?V. bzw. XY-Eltern argumentieren in unterschiedliche Richtungen. Letztere sind der Ansicht, dass auch AGS-Kinder selbst über ihren Körper entscheiden müssen, weil sich etwa 20 % der operierten Mädchen hinterher eher männlich fühlen. Die meisten aber haben gegen eine solche restriktive Regelung stark interveniert.
? Und wie sehen Sie das persönlich?
Krege: Konsequenterweise müsste man sagen, wenn sich 20 % der AGS-Mädchen hinterher als männlich outen, sollte man in diesen Fällen mit der OP warten. Allerdings bleibt doch die Mehrzahl weiblich. Bei einem ausgeprägten AGS-Stadium sieht das Mädchen ja aus wie ein Junge, da die Klitoris die Größe eines Penis hat. Zudem fehlt der untere Anteil der Scheide, weil Harnröhre und Scheide einen gemeinsamen Ausführungsgang haben. Wenn ein solches Kind als Mädchen erzogen wird, kann es spätestens im Kindergarten passieren, dass etwa beim gemeinsamen Duschen ein anderes Kind zu ihm sagt: Du bist ja gar kein richtiges Mädchen. Kann dies nicht genauso psychische Probleme aufwerfen wie eine frühe Operation? Ich zweifle ein bisschen daran, ob man die frühe OP bei AGS-Kindern unterlassen sollte.
? Würden Sie demnach bei AGS zur frühen Operation raten?
Krege: Nein, ich würde den Eltern die aktuelle Diskussion darstellen. Die meisten kommen ja ganz früh in die Sprechstunde. Man kann dann erst mal abwarten, ob die Klitorisvergrößerung durch die Kortisongabe etwas zurückgeht. Fälle, bei denen spätestens zum Ende des ersten Lebensjahres immer noch extremer OP-Bedarf besteht, sollten dann nochmal interdisziplinär diskutiert werden.
! Frau Professor Krege, vielen Dank für das Gespräch.
Literatur
Das Interview führte Dr. Christine Starostzik.
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Springer Medizin. Kinder in die Entscheidung mit einbeziehen. Pädiatrie 29, 47 (2017). https://doi.org/10.1007/s15014-017-1021-y
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