Bereits zu Beginn der künstlerischen Tätigkeit widmete sich Jawlenky dem Porträt und bald wurde das Gesicht zum wichtigsten Motiv in seinem Schaffen. Ab dem Jahre 1906 rückte er in seinen Bildnissen den Kopf immer mehr in den Mittelpunkt, wobei dieser zunehmend die gesamte Bildfläche einnahm. Dabei entstanden seit 1915 immer wieder Serien wie letztlich seine „Mystischen Köpfe“ (1917–1919) und die berühmten „Konstruktiven (abstrakten) Köpfe“ (1918–1933), bei denen mit immer stärkerer Abstraktion die Farbe im Vordergrund stand. In der letzten Serie „Heilandsgesichter“ (1917–1922) und den „Mediationen“ (1934–1937) ist schließlich eine Physiognomie nur noch zu erahnen. In manchen Jahren arbeitete er an bis zu fünf Serien parallel. Diese Art zu malen, machte ihn zum Pionier der seriellen Kunst des 20. Jahrhunderts.

In den Jahren 1909 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges schuf Jawlensky seine berühmtesten Werke, die einprägsamen „Vorkriegsköpfe“, mit denen er Weltruhm erlangte. In dieser Zeit entstand auch das „Mädchen mit blauen Augen“ (auf dem Titelbild dieser Ausgabe). Stellten sein „Trauriges Mädchen“ (1906) oder das Bild des Neffen Werefkins „Nikita“ (1910) noch ein tatsächliches Porträt dar, sind seine weiblichen Köpfe ab 1910 freie künstlerische Gestaltungen. Sie imponieren durch eine bewusst strukturierte Farbigkeit. Indem Jawlensky keine individuelle Person wiedergibt, sondern nur extrem farbige Gesichtstypen, vollzog er einen Wechsel vom „Bildnis“ zum figuralen „Bild“, ohne gänzlich abstrakt zu werden. Seine Köpfe und Gesichter scheinen von einem magischen Leben erfüllt zu sein. Das „Selbstbildnis“ von 1912 (Abb.) zeigt Jawlensky nicht nur streng russisch, sondern auch kraftvoll farbig wie seine Palette. So, als sei er mit seinen Farben eins geworden. Andererseits scheint ihm „fast der Kragen zu platzen“.

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Alexej von Jawlensky „Selbstbildnis“ (1912)

Seine Förderin von Werefkin

„Begegnungen“ haben den persönlichen und künstlerischen Lebenslauf Alexey von Jawlenskys geprägt. Als fünftes von sieben Kindern wurde er in Torschok (Russland) geboren. In Moskau besuchte er das Gymnasium, folgte zunächst der Familientradition und ging zum Militär. Hier bekam er auch Zeichenunterricht. Immer wieder besuchte er die berühmte Tretjakow-Galerie in Moskau. Dort kopierte er Bilder, um sich für die St. Petersburger Kunstakademie zu bewerben. 1889 konnte er nach St. Petersburg versetzt werden und neben seinem Militärdienst die Akademie der Künste besuchen. 1896 nahm Jawlensky seinen Abschied vom Militärdienst.

Durch den Maler Iija Repin (1844–1930) lernte er 1892 die russische Malerin Marianne von Werefkin (1860–1938) kennen, die ihn förderte und später auch finanziell unterstützte. Auf deren Familiengut machte er 1895 mit der Vertrauten und Zofe von Werefkin Helene Nesnakomoff Bekanntschaft. Sie wurde später seine Ehefrau und gebar 1902 den einzigen Sohn Andrej. 1896 war Jawlenskj mit Werefkin und Helene nach München gezogen und hatte Freundschaft mit Wassily Kandinsky (1866–1944) geschlossen. Den Sommer 1908 verbrachten diese gemeinsam mit Gabriele Münter (1877–196) in Murnau. Ein Jahr später gründeten sie die „Neue Künstlervereinigung München“ und im Jahr 1911 schlossen sie sich mit Franz Marc (1880–1916) zu „Der Blauer Reiter“ zusammen.

An schwerer Arthritis erkrankt

1911 verbrachten Jawlensky, Werefkin, Helene und Andrej den Sommer in Prerow an der Ostsee. Zwei Jahre später trennte sich Werefkin von Jawlensky und kehrte nach Litauen zurück, später zog sie nach Ascona. Er fand 1921 seinen Wohnsitz mit Sohn und Helene, die er ein Jahr später offiziell heiratete, in Wiesbaden. Ab 1929 traten bei ihm arthritische Lähmungserscheinungen der Hände und Kniegelenke auf. 1933 erhielt er Ausstellungsverbot, seine Arbeiten galten als „entartet“. 72 Werke wurden konfisziert, einige wurden 1937 in München in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Jawlensky selbst besuchte die Ausstellung im Rollstuhl sitzend. Seit 1938 konnte Jawlensky wegen der vollständigen Lähmung nicht mehr malen und verstarb 1941 im Alter von 77 Jahren in Wiesbaden.