Erst im Jahr 1964, nachdem sie ihre künstlerische Eigenständigkeit erlangt hatte, gab sich Karin Martin den Künstlernamen Rissa — nach dem gleichnamigen Ort auf der Halbinsel Fosenin in Norwegen. Rissa wurde 1938 in Rabenstein bei Chemnitz geboren. Im Alter von 15 Jahren hatte sie mit ihren Eltern, einem Buchhändler und einer Kunsterzieherin, die DDR verlassen. 1959 machte sie in Bochum ihr Abitur und studierte danach an der Kunstakademie Düsseldorf bei Karl Otto Götz. Als seine Schülerin hatte sie zunächst mit dem „Informel“ begonnen und gegenstandslos gemalt. Für ihn und mit ihm führte sie mehrere wissenschaftliche Untersuchungen durch und veröffentlichte mehrere Arbeiten und Bücher vor allem über die Bildästhetik.

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Rissa mit ihrem Mann, dem Maler Karl Otto Götz, im Jahr 2014 vor einem seiner Bilder.

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1965 heiratete sie den 24 Jahre älteren K. O. Götz und war zunächst als freie Malerin tätig. 1969 berief man sie als Dozentin an die Kunstakademie Düsseldorf, wo sie 1975 zur Professorin ernannt wurde und 2003 emeritierte. Zwei Jahre später war sie Mitbegründerin der rheinischen Malergruppe Axiom, für die sie auch das Manifest schrieb. Diese wollte mit schönstem Expressionismus die „total auf den Hund gekommene Malerei erneuern“.

Zwei Strandläufer

Rissa hat im Verlauf ihrer Schaffenszeit eine ganz eigene künstlerische Position in der Kunst des 20. Jahrhunderts entwickelt. Ihre mehr figurative Malerei mit deutlich strukturierten Flächen und klarer Farbigkeit in Verbindung mit den Elementen ihres Lehrers Götz hat sie in der Fachwelt international berühmt gemacht. Dabei malt sie gegenständliche eher grell bunte Ölbilder, deren Bildinhalte mühelos zu erkennen sind. Das gilt auch für ihre 1993 gemalten „Strandläufer“, die auf unserer Titelseite abgebildet sind. Zwei glückliche Mädchen scheinen am Strand auf Entdeckungsreise zu gehen. Auf dem Sand, der wie eine Kulisse wirkt, liegen Muscheln und ein Krebs bewegt sich zwischen kleinen braunen (Öl-)Klümpchen, die auf ein Umweltproblem hinweisen sollen. Mit ondulierenden Pinselzügen werden die Wellen des Meeres im Hintergrund wiedergegeben.

„Schnipselmalerei“

Die Formen sind wie ein Puzzle aufgeteilt in einzelne Binnenfarbflächen, sogenannte Farbsplitter, die kontrastreich nebeneinander gesetzt sind. Erst mit Abstand gesehen zeigen sie in ihrer Abstraktion eine räumliche Wirkung. Rissa hatte einmal ihre Werke als „Schnipselmalerei“ bezeichnet. Pinselschwünge durchbrechen die einzelnen Farbflächen. Sie verleihen den Bildern mit ihrer üppigen Farbpalette eine intensive Dynamik voller Poesie. Die Künstlerin kreierte auch neue Form- und Farbstrukturen. Dabei ordnet sie die Farbe der Form unter. Ihre leuchtenden Primär- und Sekundärfarben trägt sie mit äußerster Präzision mit unterschiedlichen Rund- und Flachpinseln perfekt auf.

Kritische Beleuchtung

Es waren überwiegend bestimmte Themen, die sie in Farben umsetzte. Sie empfindet die Welt als absurd und so setzt(e) sie sich in ihren Bildwelten besonders mit der Umweltbedrohung und der Tierwelt auseinander, sonst standen Themen wie Emanzipation und menschliche Gefühle (Erotik) im Blickpunkt. Ihrer Zeit voraus war sie mit ihren Darstellungen der Beduinen wie mit den Gemälden „Wüstensohn“ (1991) und „Wüstentochter“ (1993). Auch der Golfkrieg und insbesondere der Islam beschäftigten sie sehr.

Seit den 60er-Jahren beteiligte sich Rissa an zahlreichen Gruppenausstellungen und führte Einzelausstellungen überwiegend in Museen durch. Ihr malerisches Werk umfasst bis heute etwa 200 Ölgemälde, viele Tuschzeichnungen und Gouachen auch für die Gedichtbändchen ihres Mannes.

2013 wurde im Mittelrheinischen Museum in Koblenz der „K. O. Götz & Rissa Saal“ eröffnet, der eine ständige Werksauswahl dieses ungewöhnlichen Künstlerpaares präsentiert. 1997 gründeten beide an ihrem Wohnort in Niederbreitbach-Wolfenacker im Westerwald die „K. O. Götz und Rissa Stiftung“. In diesem Jahr ist die bewundernswerte und passionierte Malerin 78 Jahre alt geworden, ihr Mann sogar 102 Jahre.