Auf den ersten Blick ist dieses Porträt ein ziemlich konventionelles. Eine Frau mit einem Skizzenblock schaut entspannt in die Ferne. Erst beim zweiten Hinschauen bemerkt man, worauf sich die Porträtierte da eigentlich so locker aufstützt. Es ist ein Stier. Das ist dann doch ungewöhnlich. Aber durchaus passend zu Rosa Bonheur.

Rosa Bonheur wurde 1822 in Bordeaux in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Ihr Vater war ein eher mäßig begabter und auch nicht unbedingt sehr erfolgreicher Maler. Gleichwohl ebnete er seiner Tochter den Weg. Für die stand schon früh fest: Sie wollte ebenfalls Malerin werden. Und was sie am meisten faszinierte, war die Natur.

Mit dieser Vorliebe war sie unter den Malerinnen des 19. Jahrhunderts nicht allein. Die Natur wurde gerade als ein Raum der gesteigerten Empfindsamkeit entdeckt. Blumenbilder standen hoch im Kurs. Und in den idyllischen Landschaften durften auch gerne mal ein paar Vöglein auf einem Zweig sitzen.

All das interessierte Rosa Bonheur aber nicht wirklich. Ihr Interesse galt den richtig großen Tieren: Pferden, Bullen, Stieren. Und die wurden auch in entsprechenden Formaten in Szene gesetzt. Ihren Durchbruch erzielte sie mit dem Bild "Der Pferdemarkt" von 1852. Auf einer Breite von fünf Metern tummeln sich da die vor ihren Händlern zusammengetriebenen Pferde, drehen sich, bäumen sich auf und lassen ihre Muskeln spielen. Ein Bild voller Kraft und Dynamik, das auch heute noch im New Yorker Metropolitan Museum of Art ein Publikumsmagnet ist.

Ähnliche Bilder folgten und machten Rosa Bonheur zur bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Tiermalerin ihrer Zeit. Ungewöhnlich waren dabei nicht nur ihre Motive, sondern auch ihr Lebensstil. Rosa Bonheur rauchte, kleidete sich wie ein Mann und lebte offen lesbisch mit unterschiedlichen Partnerinnen - während ihrer letzten Lebensjahre etwa mit der 34 Jahre jüngeren, amerikanischen Malerin Anna Elizabeth Klumpke. Einem Reporter verriet sie einmal: "Was männliche Wesen angeht, interessiere ich mich nur für die Stiere, die ich male." Heute wäre sie wahrscheinlich eine Ikone der LGBTQ-Bewegung.

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Edouard Dubufe: Porträt Rosa Bonheur, 1857

Ihr bekanntestes und auch häufig reproduziertes Porträt ist das hier wiedergegebene Gemälde des französischen Malers Edouard Dubufe. Der genoss in seiner Branche einen durchaus guten Ruf. Spätestens seit er die Kaiserin Eugénie auf der Leinwand verewigt hatte, galt er als der führende Porträtist in Paris. Sein Bildnis der Rosa Bonheur sah allerdings ursprünglich ganz anders aus. Da hatte Dubufe sein Modell nämlich so gemalt, dass sie sich mit dem rechten Arm auf einer Konsole abstützt. Rosa Bonheur fand das jedoch viel zu langweilig, übernahm kurzerhand das Porträt und ersetzte das Möbelstück durch den Kopf ihres Lieblingsstiers. Angeblich geschah das mit dem Einverständnis ihres Malerkollegen. Aber Dubufe war wohl auch klar: Jemandem wie Rosa Bonheur sollte man besser nicht widersprechen. Zumindest nicht als Mann.