Die Diskussion um zunehmende Sectio-Raten ist inzwischen eine "unendliche Geschichte". Wie es um den maternalen Nutzen primärer Indikationen steht, wurde nun im Rahmen einer schwedischen Registerstudie geklärt.

Ein schwedisches Forschungsteam hat von 59.415 Frauen über 45, die sich einer Prolaps- und/oder Inkontinenzoperation unterzogen, Geburtsmodus und Parität erfasst. Die Referenzgruppe waren 2,3 Millionen Frauen gleichen Alters aus der Allgemeinbevölkerung.

Bei Frauen nach vaginaler Geburt war das absolute Risiko für eine später notwendige Prolapsoperation um den Faktor 23 höher als bei Frauen mit Sectio-Geburten. Erwartungsgemäß war solch eine OP häufiger nach mehreren vaginalen Geburten. Das galt nicht für Frauen, die mehrmals ausschließlich wiederholte Sectiones hatten. Deren Risiko für solche Operationen entsprach jenem von Nulliparae. Die erste vaginale Geburt einer Frau trug am stärksten zum Anstieg des absoluten Risikos für Operationen bei Beckenorganprolaps (sechsfach erhöht) und Stressharninkontinenz (dreifach erhöht) bei.

Inkontinenz- und Deszensuseingriffe treffen demnach fast ausschließlich Frauen, die Kinder vaginal geboren haben. Mit der ersten vaginalen Geburt werde das Risiko der Notwendigkeit solcher später Operationen am deutlichsten erhöht, so die schwedischen Forschenden. Kaiserschnitte würden die Beckenbodenfunktion nicht beeinträchtigen. Es bestehe die gleiche Beckenbodenstabilität wie bei Nulliparae. Beide Gruppen bräuchten selten urogenitale Rekonstruktionen.

Larsudd-Kaverud J et al: The influence of pregnancy, parity and mode of delivery on urinary incontinence and prolaps surgery-a national register study. Am J Obstet Gynecol 2023;228:61.e1-13

Kommentar

Ein nach vaginaler Geburt um den Faktor 23 erhöhtes Risiko für eine später notwendige Operation wegen Harninkontinenz- und/oder Prolapsbeschwerden sollte zwingend Bestandteil der Beratung zum Geburtsmodus werden. Gegenüber abdominaler Geburt ist das ein Risikounterschied, der in keinem anderen Lebensbereich bei Alternativmöglichkeiten für geringeres Risiko hingenommen würde. Es geht hier um Verletzung der körperlichen Integrität.

Die mäßigen operativen Rekonstruktionserfolge bei Langzeitbeobachtung (mittlere Lebenserwartung bei Frauen um 82 Jahre) werden hier nicht diskutiert, stattdessen geht es um die Frage, wie aufzuklären ist. Beckenbodenschäden, die eine OP erfordern, sind nur die Spitze des Eisbergs: Circa die Hälfte der Frauen nach vaginaler Geburt leiden früher oder später am geschädigten Beckenboden. Zu den Risiken für den Beckenboden mit Deszensus-/Prolapsfolge gehören hoher Body-Mass-Index bereits vor der Schwangerschaft, massive Gewichtszunahme in der Schwangerschaft und makrosome Neugeborene mit über 4 kg Geburtsgewicht. Bereits eine "späte" erste Geburt nach dem 30. Lebensjahr (heute fast die Regel) hat ein erhöhtes Prolapsrisiko zur Folge [Schulten SFM et al. Am J Obstet Gynecol 2022;227:129-208]. Diese Faktoren lassen sich im Sinne von Schutz vor Beckenbodenschäden kaum beeinflussen.

Bisher waren Regresse wegen Beckenbodenschäden infolge Geburt relativ selten, da diese von den betroffenen Frauen als "schicksalhaft" eingestuft wurden. Auch deshalb unterblieb oft die Aufklärung über Häufigkeit und Folgen. Fehlerhafte und erst recht unterlassene Aufklärung wird im Schadensfall für Schadenersatz und Schmerzensgeldforderungen immer mehr herangezogen. Im Kreißsaal Tätige müssen das im Grundgesetz verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit (§1) beachten, also ordnungsgemäß über Risiken infolge vaginaler Geburt aufklären. Entscheidungsfreiheit der Schwangeren beim Geburtsmodus kann aus medizinischer Sicht "unsinnig" sein, ist aber zu akzeptieren. Eine Aufklärung über Beckenbodenbelastungen ist umfassend zu dokumentieren. Diese Notwendigkeit bestätigen obige Studiendaten so beeindruckend, dass diese als "missing link" einzustufen sind.