Rita Angus war ihrer Zeit immer schon voraus. Sie war eine Feministin, als das noch nicht Mode war. Sie war eine Pazifistin, bevor sich Hunderttausende in Friedensbewegungen engagierten. Und sie war eine exzellente Malerin, als diese Sparte der Kunst immer noch als Männerdomäne galt. Dass sie nicht weltweit als Pionierin bekannt ist, hat wahrscheinlich einen einfachen Grund: Rita Angus wurde am falschen Ende der Welt geboren.

Genauer gesagt erblickte sie das Licht der Welt am 12. März 1908 in Hastings, Neuseeland. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht gerade ein Epizentrum der modernen Malerei. Kunstbegeisterte Zeitgenossen gab es dort gleichwohl auch damals schon. So erkannte zum Beispiel der Kunstlehrer des Mädchengymnasiums, das Rita Angus besuchte, ihr Talent, förderte sie und trug mit dazu bei, dass sie sich an der Canterbury College School of Art einschreiben konnte, wo sie Malerei und Kunstgeschichte studierte.

Auch wenn Rita Angus geografisch gesehen in der künstlerischen Diaspora lebte, so verfolgte sie doch das weltweite Kunstgeschehen mit großem Interesse und verarbeitete es in ihrer eigenen Malerei. Dabei bewies sie, dass sie - was Talent, Technik und Ausdruckskraft angeht - in der ersten Liga mitspielte.

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© Rita Angus, Selbstporträt (ca. 1936-37) / Courtesy of The Estate of Rita Angus

Rita Angus: Selbstporträt (ca. 1936-1937)

In ihrem Selbstporträt von 1937 zeigt sie sich als moderne, selbstbewusste Frau, die mit einer Greta-Garbo-haften Nonchalance das vorführt, was man heute als "Urban Chic" bezeichnet. Von der androgynen Frisur über die lässig in der behandschuhten Linken gehaltenen Zigarette bis zur grünen Barett-Mütze über dem Ellenbogen. Otto Dix hätte das auch nicht besser hinbekommen.

Gleichwohl verfügte Rita Angus über eine große Bandbreite künstlerischer Themen und Stile. Ausdrucksvolle Landschaftsbilder und geradezu grafisch designte Postermotive gehörten ebenfalls zu ihrem Repertoire. Ihrer ehemaligen "Girls School" hinterließ sie ein riesiges Wandgemälde.

Der internationale Durchbruch blieb ihr allerdings dennoch versagt. Als Frau zur falschen Zeit am falschen Ort eine Malerkarriere zu beginnen ist nur höchst selten ein Ticket für die Weltkarriere. Die Mexikanerin Frida Kahlo ist da weiterhin eine große Ausnahme.

In Neuseeland ist Rita Angus mittlerweile immerhin eine nationale Berühmtheit. Eine entsprechende Stiftung kümmert sich vorbildlich um ihr Werk. Ein Blick auf die entsprechende Webseite www.ritaangus.com lohnt sich. Auch Kunst ist inzwischen nicht mehr nur ein Privileg des "globalen Nordens".