Ärztinnen und Ärzte stehen digitalen Tools wie der Videosprechstunde immer noch skeptisch gegenüber, wie eine Umfrage zeigt. Doch sie sollten offen sein für Neues, um den sich verändernden Bedürfnissen ihrer Patientinnen und Patienten gerecht zu werden.

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© Chainarong Prasertthai / Getty Images / iStock

Die Bedürfnisse der Menschen verändern sich - der Trend geht zu E-Health-Leistungen.

Sind niedergelassene Arztpraxen bald digital abgehängt? Das lassen zumindest die Ergebnisse des aktuellen Meinungsbarometers "Der amazonisierte Patient" des Steuerberater-Netzwerks ETL befürchten. Für die Erhebung wurden zwischen September und November vergangenen Jahres 200 Ärztinnen und Ärzte zur digitalen Entwicklung im Gesundheitswesen befragt.

Im Bericht heißt es, dass die stationäre medizinische Versorgung in Deutschland zunehmend der Entwicklung im Einzelhandel ähnelt: Dort gehe der Boom des E-Commerce mit dem Niedergang des stationären Handels einher. Große Zusammenschlüsse und Ketten herrschten in den Städten mittlerweile vor. Kleine Geschäfte müssten heutzutage ideenreich und innovativ sein, um sich in ihrer Nische behaupten zu können.

Auch im Gesundheitswesen zeichneten sich solche Tendenzen ab. In den Städten entstünden Ärztezentren wie seinerzeit Einkaufszentren. Immer mehr Praxen kommen ihren Patientinnen und Patienten mit Digitalangeboten und Erreichbarkeit rund um die Uhr entgegen.

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"Das Patientenverhalten unserer Gesellschaft verändert sich. Profiteure werden die Mediziner sein, die veränderte Patientenbedürfnisse erkennen und darauf aktiv reagieren. Es ist eine offene Einstellung und Mut gefragt, um die eigene Praxis auf das neue Zeitalter einzustimmen", sagt Studienautorin Janine Peine, Steuerberaterin bei ETL. E-Health-Leistungen würden langfristig die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten bedienen, ihr Einsatz folglich immer mehr eingefordert. Der Report spricht von einer "patientenorientierten Entwicklung", der sich Ärztinnen und Ärzte nicht entziehen könnten.

Doch wie aufgeschlossen sind Praxen tatsächlich gegenüber digitalen Tools wie Videosprechstunden, der elektronischen Patientenakte oder dem E-Rezept? Laut Umfrage ist das Stimmungsbild durchwachsen: 37,3 % der Ärztinnen und Ärzte halten etwa Videosprechstunden für eine sinnvolle Ergänzung zur Präsenzversorgung - vor allem für Patient*innen auf dem Land. Doch das Potenzial, die eigene Praxis attraktiver zu machen, erkennt demnach nur jeder Zehnte.

"Vogel-Strauß-Prinzip ist keine Lösung"

63,5 % der Befragten gaben sogar an, in den kommenden beiden Jahren keine Videosprechstunden in der eigenen Praxis einführen zu wollen. Die Gründe sind zahlreich: In erster Linie werden Schwierigkeiten bei der Umsetzung genannt, etwa Unklarheiten beim Datenschutz oder langsame Internetverbindungen (jeweils 29,9 %). Rund 40 % bemängeln auch ein zu geringes Honorar. Videosprechstunden werden aber nicht von allen Ärztinnen und Ärzten abgelehnt: Etwa ein Drittel nutzt diesen Service derzeit schon oder führt ihn in Kürze ein.

Insgesamt zeige die Umfrage, dass kein grundsätzlicher Widerstand der Ärzt*innenschaft gegenüber digitalen Angeboten bestehe, heißt es in dem Bericht. Allerdings habe die Mehrheit der Medizinerinnen und Mediziner das Potenzial für die eigene Praxis noch nicht erkannt. "Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und sich verändernder Patientenbedürfnisse ist das Vogel-Strauß-Prinzip keine langfristige Lösung", sagt Peine. Diesen Praxen werde es sonst ähnlich ergehen wie dem Einzelhandel.