Menschen, die nicht zur Generation der "digital natives" gehören, haben häufig Schwierigkeiten, sich in der neuen digitalen Welt zurechtzufinden. Das gilt nicht zuletzt für den Bereich der Erotik und Sexualität. Wer daran gewöhnt war, seine potenziellen Sexual- oder Lebensabschnittspartner in der Dorfdisco oder auf der Semesterabschlussfete zu finden, der steht heute staunend vor Online-Dating-Portalen, bei denen die Partnerwahl häufig schneller und unkomplizierter erfolgt als die Auswahl der Pizza beim Lieferservice.

Während für eine ganze Generation von männlichen Heranwachsenden ein monatlich erscheinendes Magazin mit einem ausklappbaren Frauenfoto in der Heftmitte der Gipfel an öffentlich zugänglicher Erotik war, laden sich Teenager heute zu jeder Zeit und an jedem Ort in Sekundenschnelle explizite Pornofilme jeglicher Art auf ihr Smartphone. Und wer immer noch glaubte, Sexualität wäre irgendwas Intimes, was sich in der Regel zwischen zwei Menschen abspielt, der hat noch nicht die Welt des Cybersex entdeckt und kennt noch nicht die neueste Generation von Sexrobotern.

Kein Zweifel, Digitalisierung, Internet und Robotik haben unsere Welt verändert. Das gilt nicht zuletzt für die Sexualität. Nun gehört die Sexualberatung seit jeher zum Aufgabenbereich der Gynäkologen. Das bedeutet: Wer hier weiter beratend tätig sein will, der muss sich erst einmal schlau machen, wie es mittlerweile aussieht in der Welt der "Sexualität 4.0".

Genau das schildert uns Nathalie Eleyth in ihrem umfangreichen Beitrag, dessen ersten Teil wir in diesem Heft ab Seite 26 abdrucken. Sie tut dies auf bemerkenswert differenzierte Art und Weise. Angesichts eines Themas, das wahlweise zum Moralisieren oder zum Sarkasmus verleitet, behandelt sie das Gebiet mit einer überraschenden Ausgewogenheit. Die Gefahren des Missbrauchs internetbasierter Sexualität werden genauso aufgezeigt wie die Möglichkeiten - etwa für sexuelle Minderheiten - sich hier neue Freiräume zu erschaffen.

Ganz nebenbei erweitert man bei der Lektüre nicht nur sein Wissen, sondern auch seinen Wortschatz. Vom "Sexting" über das "Cyber Grooming" bis hin zum "Choice Overload" - neue Technologien schaffen auch immer neue Begrifflichkeiten.

Für alle, die ein wenig Orientierung in der immer unübersichtlicheren Welt der "Sexualität 4.0" suchen, ist der Beitrag von Frau Eleyth zweifellos eine Pflichtlektüre. Ob man sich danach noch zutraut, hier auch ärztlich beratend tätig zu werden, muss jeder für sich selbst entscheiden.

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"Wer daran gewöhnt war, seine potenziellen Sexual- oder Lebensabschnittspartner in der Dorfdisco oder auf der Semesterabschlussfete zu finden, der steht heute staunend vor Online-Dating-Portalen."

Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk

Leiter der Gynäkologie am Metropol Medical Center, Nürnberg, und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (GSAAM)