Eklampsien sind oft Anlass für Streit. Im folgenden Fall steht ein Gynäkologe vor Gericht, der eine Schwangere vermeintlich zu spät in die Klinik eingewiesen hatte.

Eine Schwangere erlitt aufgrund einer Präeklampsie eine Gehirnblutung. Ihre Krankenkasse nahm deshalb ihren Gynäkologen aus streitig übergegangenen Rechten gemäß § 116 SGB X in Anspruch. Da er eine drohende Eklampsie unzureichend behandelt habe, sei es zu einer schweren, laut Kasse bei früherer Einweisung vermeidbaren, Gehirnblutung der Patientin gekommen. Die Schwangere hatte nach anfangs unauffälligen Kontrollen am 24. März 2009 erstmals einen erhöhten Blutdruck (150/90 mmHg) und eine pathologische Eiweißausscheidung im Urin (++), zudem bestanden Beinödeme. Ein HELLP-Labor blieb unauffällig, Haptoglobin wurde allerdings nicht bestimmt und die Eiweißausscheidung nicht quantifiziert. Bei einer Kontrolle am 31. März lag der RR bei 140/80 mmHg, der Urinschnelltest ebenso wieder in der Norm.

Bis die Patientin am 12. April mit beginnenden Wehen in die Klinik ging (39+0 SSW, RR 150/90 mmHg, Urinschnelltest ohne Befund), gab es keine Besonderheiten mehr. Ab 9:11 Uhr traten dort aber plötzlich Augenflimmern, Übelkeit mit Erbrechen und Sehstörungen auf, um 9:52 Uhr war der RR auf 200/143 mmHg gestiegen. Um 9:59 Uhr krampfte die Patientin, sodass nach Stabilisierung unter Diazepam und Magnesium eine Notsectio erfolgte. Nach Entbindung eines gesunden Jungen kam es zu zwei erneuten Krampfanfällen und einer kompletten kortikalen Blindheit. Im CT wurde eine Hirnblutung von 5 × 2 cm rechts parietooccipital festgestellt. Die Sehstörung der Patientin besserte sich, bei Entlassung bestand aber noch ein halbseitiger Gesichtsfeldausfall links, weshalb sich eine Reha anschloss.

So sah das Gericht den Fall

Das Landgericht Tübingen (Urt. v. 24.7.2019, Az. 8 O 28/18) wies die Klage ab, obwohl dem Beklagten laut Begutachtung vorzuwerfen war, dass er die Situation am 24. März 2009 nicht ausreichend kontrolliert hatte. Schon nach damaliger Leitlinie war von einer leichten Präeklampsie auszugehen, was eine quantitative Messung der Eiweißausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin innerhalb der nächsten zwei bis drei Tage ebenso erforderlich gemacht hätte wie eine noch engmaschigere Kontrolle des Blutdrucks in Ruhe. Es ließ sich aber nicht feststellen, dass die Versäumnisse Ursache für den späteren Verlauf waren beziehungsweise dass mit den angemahnten Untersuchungen überhaupt ein Befund aufgefallen wäre, der dann andere Maßnahmen erfordert hätte. Vielmehr sprachen insbesondere die Untersuchungsergebnisse vom 31. März fast schon zwingend dafür, dass auch die gebotenen, engmaschigeren Kontrollen zu keiner Änderung geführt hätten. Eine sofortige Klinikeinweisung war am 24. März keinesfalls angezeigt. Damit verneinte das Gericht die Kausalität zwischen den festgestellten (einfachen) Befunderhebungsfehlern und späteren Schäden der Patientin und damit auch den streitigen Regressansprüchen.

Zur Beweislastumkehr kam es nicht, weil das Fehlverhalten nicht "gänzlich unverständlich" schien, nachdem es trotz allem um eine nur relativ geringe Blutdruckerhöhung ging, weitere richtungweisende Symptome fehlten und der Beklagte eine Woche später durchaus eine Kontrolle veranlasst hatte. Zur Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 S. 2 BGB kam es ebenfalls nicht, da gerade nicht mit mehr als 50 %iger Wahrscheinlichkeit (selbst unterstellt) ergänzende Untersuchungen zur fraglichen Zeit schon einen reaktionspflichtigen Befund hätten erwarten lassen. Eher wären hier auch wieder Normalwerte zu erwarten gewesen, wie es schließlich am 31. März der Fall war.

figure 1

© Martin S. Greiff

Dr. Martin Sebastian Greiff stellt in dieser Rubrik gerichtliche Entscheidungen aus dem Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe vor.

Was bedeutet das Urteil für den klinischen Alltag?

Das Urteil zeigt zum einen wieder einmal, wie differenziert die Gerichte in haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen in Streit stehende Behandlungsfehlervorwürfe auf ihre haftungsrechtliche Relevanz prüfen. Zumal die Arzthaftungskammern nicht nur an die von den Prozessparteien vorgetragenen Vorwürfe gebunden sind, sondern auch darüber hinaus Sachverständige mit der Prüfung beauftragen dürfen, ob noch sonstige, für den behaupteten (Gesundheits-)Schaden ursächliche Fehler erkennbar sind (BGH VersR 1982, 168). Gleichzeitig steht das Urteil für die allgemein zunehmende Tendenz, dass neben Patienten mittlerweile gerade auch deren Krankenkassen oder sonstige Sozialversicherungsträger Arzthaftungsprozesse anstrengen.