Beim Verdacht auf eine intrauterine Wachstumsretardierung (IUGR) sollte das klinische Management vor allem auch vom Wissen über das fetale Wachstum geleitet werden. Dabei gilt: Es gibt kein einheitlich optimales fetales Wachstum, die physiologischen Unterschiede sind weltweit beträchtlich. Das betonte PD Dr. Anke Diemert, Hamburg. Demnach sei nicht jede Anpassung des Feten an seine pränatale Umgebung per se pathologisch, auf die Variabilität und Plastizität der Entwicklung sei verwiesen.

Eine individuelle Anpassung der Wachstumskurve (beispielsweise an das fetale Geschlecht, die Ethnizität etc.) erhöht deren prädiktiven und diagnostischen Wert. Die Festlegung einer weltweit einheitlich geltenden fetalen Wachstumskurve würde deshalb zu Fehldiagnosen mit erheblichen unerwünschten klinischen Auswirkungen führen.

Frühe IUGR: Eine große Herausforderung

Der Umgang mit früher IUGR sei für alle Beteiligten eine große Herausforderung, so PD Dr. Dietmar Schlembach, Berlin. Zum Beispiel müsse eine fetale Hypoxie frühzeitig erkannt werden, um einen irreversiblen Schaden oder intrauterinen Fruchttod zu verhindern. Gleichzeitig dürfe die Schwangerschaft aber nicht zu früh beendet werden, um die drohenden Folgen von Frühgeburtlichkeit so gering wie möglich zu halten.

Eine einzelne Überwachungsmethode ist laut Schlembach nicht geeignet, um den Ausgang einer IUGR sicher vorherzusagen. Empfohlen ist deshalb die Kombination von Verfahren, wobei neben der klinischen Diagnostik insbesondere die Dopplersonografie und die Computer-Kardiotokografie (cCTG) einbezogen werden sollten. Eine Indikation für die vorzeitige Geburtseinleitung sind schwere Anomalien in der Dopplersonografie des Ductus venosus, die im Zusammenhang mit Abweichungen im cCTG auftreten.

Späte fetale Wachstumsretardierung: Einleitung nicht um jeden Preis

Als späte IUGR gelten solche, die nach der 32. Schwangerschaftswoche erkennbar werden. Sie sind mit einem erhöhten Risiko für perinatale Hypoxie und einer suboptimalen neuronalen Entwicklung verbunden. Anders als bei früher IUGR reicht die Dopplersonografie der Arteria umbilicalis für eine gute Beurteilung der Situation bei späten Wachstumsverzögerungen nicht aus. Empfohlen wird eine Kombination von biometrischen Parametern und Dopplersonografie, um die Risiken perinataler Komplikationen einschätzen zu können. Bei einer späten Wachstumsretadierung in der Nähe des geplanten Geburtstermins verbessert eine Geburtseinleitung das perinatale Outcome nicht, vor der 38. Schwangerschaftswoche erhöht es die neonatale Morbidität sogar eher [Figueras F et al. Am J Obstet Gynecol. 2018;218: S790-S802.e1].

Gute Förderung kann schlechten Start ausgleichen — und sogar mehr als das

Prof. Dieter Wolke, Warwick, Großbritannien, erläuterte, weshalb Kinder, die einer IUGR ausgesetzt sind, nicht zwangsläufig eine schlechtere Prognose in puncto kognitiver und beruflicher Entwicklung haben. Gemäß der „differential susceptibility theory“ (DST) erhöht ein mangelhaftes Angebot an Nahrung im Uterus die Sensitivität für die postuterine Umwelt. Dies bewirke, so die These, dass die betroffenen Kinder sensibler für das Verhalten ihrer Eltern (mit allen Vor- und Nachteilen) werden und deshalb bei entsprechend guter Förderung später nicht nur nicht benachteiligt, sondern sogar zu höheren Leistungen fähig werden als der Durchschnitt. Bestätigt wird diese These durch die Ergebnisse einer neuen Untersuchung mit 438 Probanden [Nichols T et al. Dev Psychopathol. (in press)].