Nicht wenige Kunstkritiker sehen dies freilich anders. Sie betrachten Boteros Werk mit unverhohlener Geringschätzung und Herablassung. Da mag durchaus ein wenig Neid im Spiel sein — Botero gehört zu den bestbezahlten Malern überhaupt. Vor allem aber zeigt sich darin ein Charakteristikum zeitgenössischer Kunstkritik.

Botero wird nicht zuletzt auch deshalb abgelehnt, weil ihn Menschen auf der ganzen Welt lieben. Für die meisten professionellen Kritiker ist dies bereits ein Ausschlusskriterium. Massentauglichkeit ist in der Kunst suspekt. Bei der vor Kurzem in Kassel zu Ende gegangenen Documenta haben die Kuratoren wieder einmal nachträglich ihr Credo in Sachen Kunst bekräftigt. Das lautet: Kunst ist, wenn keiner es versteht, niemand es mag und anschließend der Steuerzahler für alles aufkommt. Das ist bei Fernando Botero durchaus anders. In der Kunstwelt war er freilich immer schon ein Außenseiter.

Geboren wurde Botero 1932 in Medellin, Kolumbien, also weit abseits jeglicher Kunstmetropolen. Früh schon schrieb sich der talentierte Zeichner dann allerdings an europäischen Kunsthochschulen in Spanien und Italien ein. Auch dort verhielt er sich eher antizyklisch. Während seine Kommilitonen für die neuesten modernen Kunstrichtungen schwärmten, begeisterte sich Botero für die „Alten Meister“ und studierte intensiv die Malerei der italienischen Renaissance und des europäischen Barock. Seine Art der Aneignung ging dabei von Anfang an über das Volumen. Botero malte Leonardos Mona Lisa, Rafaels Madonnen, Velasquez Infantinnen und Dürers Patrizierfrauen auf seine ganz spezifische Art und Weise: mit Ballonköpfen, Wurstfingern und Elefantenbeinen, aber immer mit Charme und Sinnlichkeit. Seine Paraphrasen alter Meister sind durchaus keine Karikaturen, sondern Hommagen an die Großen der Kunstgeschichte. Man könnte auch von schöpferischen Neuformulierungen sprechen.

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Die Ballerina an der Stange, 2001, Fernando Botero (geb. 1932)

© Fernando Botero. Courtesy of the gallery Fernando Pradilla; culture-images/fai

Das gilt auch für seine „Ballerina an der Stange“, ein Motiv, das vor allem durch den französischen Impressionisten Edgar Degas in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Hier entfaltet Boteros ausufernde Üppigkeit noch einmal eine ganz besondere Wirkung. Kein anderer Berufsstand zeichnet sich ja so sehr durch grazile Körper aus wie der der Balletttänzerin. Und dennoch wird deutlich: Niemals verunglimpft Botero seine Figuren durch ihre Körperfülle. Wie die dicke Ballerina offensichtlich mühelos auf ihrer linken Fußspitze balanciert, das andere Bein im rechten Winkel gestreckt in die Luft hält und dabei anstrengungslos eine elegante Haltung wahrt, das ist überaus reizvoll anzusehen. Und auch hier stellt sich Botero bewusst gegen jeglichen Mainstream.

In einer allgegenwärtigen Werbewelt, in der schlanke, fettfreie, durchtrainierte Models verherrlicht werden, die allerdings dann häufig auch ein wenig asketisch-verkniffen wirken, schafft er ein Paralleluniversum fülliger, sinnesfroher und gutgelaunter Menschen. Große Künstler zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie eine ganz eigene Welt erschaffen. Genau das tut Fernando Botero seit über 50 Jahren. Und er sorgt dabei immer wieder für dicke Überraschungen.