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„„Der Wille zur klinisch-wissenschaftlichen Diskussion mit Konsens scheint von einer Trägheit erfasst zu sein.“

Dr. med. Juliane Marschke Klinik für Urogynäkologie, St. Hedwig-Krankenhaus, Berlin

Ist dieses Editorial eine Einführung in diese urogynäkologisch orientierte Ausgabe, dann war der 9. Deutsche Urogynkongress in Stuttgart ein Abbild unserer Arbeit: viele spannende und für die tägliche Arbeit wichtige Themen, wenig Zeit für Pausen und kaum Raum zum kritischen Hinterfragen und Konsensfinden.

Konsens gibt es, auch für komplexe Beckenbodenfunktionsstörungen werden zunehmend diagnostische Standards diskutiert. Gelebter Alltag in Beckenbodenzentren ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit, Kontroversen und therapeutischen Konzepten wird sich weiter geöffnet, auch im Rahmen von Vorträgen zur Psychosomatik und zur Intimchirurgie.

Den vom Freiherrn von Münchhausen vorgestellten inneren Schweinehund kennen wir gut. Diesen trotz herrlichem Sonnenschein zu überwinden, fiel in schöner Atmosphäre des hervorragend organisierten Kongresses nicht schwer.

Nicht so leicht ist die Konsensfindung für das operative Konzept. Enttäuschend ist hier der Mangel an Innovation und kritischer Betrachtung. Der Wille zur klinisch-wissenschaftlichen Diskussion mit Konsens scheint von einer Trägheit erfasst zu sein, nicht ganz zu verstehen nach den Erfahrungen der letzten Jahre in Bezug auf netzunterstützte vaginale Chirurgie.

Um den inneren Schweinehund zu überwinden, so lernten wir, sollten kleine Ziele wohlüberlegt gesteckt werden. Ein erreichbares erstes Ziel könnte sein, Indikationen zu definieren, deren therapeutische Strategie unklar ist und diese dann im Rahmen eines solchen Forums zu diskutieren. Derzeit ist es aber vor allem die Industrie, die uns Urogynäkologen schon bekannte Konzepte anbietet, von Innovation wenig zu spüren. Es gibt eher eine zunehmende Heterogenität sowohl in Bezug auf anatomische Landmarks zur Fixierung als auch in Bezug auf unterschiedliche Materialien.

Wir lernten über den inneren Schweinehund auch, dass er bei klugen Menschen besonders trickreich ist. Wollen wir uns darauf wirklich ausruhen?

Alternativ können wir die verschiedenen Varianten als befruchtend für einen lebendigen Diskurs nutzen. Raum dafür gibt diese Ausgabe der gynäkologie + geburtshilfe und der von Dr. Noé dargestellten Pektopexie, die auch im spannenden Kurs „Beckenbodenrekonstruktion an der Leiche“ vorgestellt wurde. Es gibt sie, innovative Ideen — nutzen wir unser urogynäkologisches Interesse und Wissen doch mehr zur Konsensfindung!

Der Blick zu angrenzenden Fachgebieten lohnt: PD Dr. Andreas Wiedemann zeigte in einem lebendigen Vortrag, dass und wie wir die nicht operative Therapie optimaler gestalten können mit Blick auf die Patientin samt Nebendiagnosen und Begleitmedikation. Das weite Feld der NOAKs beispielweise fordert uns auch durch eine Interaktion mit Anticholinergika, die zur Kumulation der NOAKs mit einem erhöhten Blutungsrisiko führt.

Die Geburtshilfe ist ein uns Gynäkologen näheres Gebiet. PD Dr. Markus Hübner beleuchtet in dieser Ausgabe, welche Möglichkeiten eine engere Verflechtung von Urogynäkologie und Geburtshilfe im Sinne einer Prävention von Spätfolgen und einer risikoadaptierten Therapie bietet.

Mit der DECISION-Studie werden subjektive Parameter erfasst und die Befragten gleichzeitig informiert, mit der Möglichkeit einer Meinungsänderung nach Beratung — so geht „informed consent“, die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient, heute.

Viel Spaß beim Entdecken der vielen Aspekte der Urogynäkologie!

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