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Dr. Martin Sebastian Greiff stellt in dieser Rubrik gerichtliche Entscheidungen aus dem Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe vor.

Der Arzt habe laut Klage grobe Diagnose- und Therapiefehler begangen, da ihm bei Untersuchungen in der Schwangerschaft die Fehlbildung beim Kopfwachstum („lemon-sign“) und Klumpfüße entgangen seien. All dies hätte erkannt werden müssen und weiterer Diagnostik bedurft. Ein Spezialist hätte dann mit Sicherheit die Fehlbildungen früher festgestellt, sodass die Schwangerschaft abgebrochen worden wäre.

So sah das Gericht den Fall

Das LG Darmstadt (Az. 2 O 209/10) wies die Klage letztlich trotz Feststellung eines Diagnosefehlers ab. Zwar habe der Beklagte die Fehlbildungen im Ultraschall, gemessen am Standard niedergelassener Gynäkologen ohne Zusatzqualifikation, nicht zwingend als solche erkennen, aber laut Gutachter nach dem zweiten Screening zumindest Konsequenzen aus auffälligen Kopfumfangsmessungen ziehen müssen. Dass die Mikrozephalie nicht erkannt und nicht wenigstens weitere Untersuchungen veranlasst wurden, wertete das Gericht daher als einfachen Behandlungsfehler. Der Fehler hätte aber nur Schadensersatz bedingt, wenn dann ein Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig möglich gewesen wäre, denn: „Eine auf der (…) Verletzung des Behandlungsvertrages beruhende Vereitelung eines möglichen Abbruchs kann (…) nur dann Ansatz dafür sein, die Eltern im Rahmen eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Arzt auf der vermögensmäßigen Ebene von der Unterhaltsbelastung für das Kind freizustellen und der Klägerin ein Schmerzensgeld zuzuerkennen, wenn der Abbruch rechtmäßig gewesen wäre, also der Rechtsordnung entsprochen hätte und von ihr nicht missbilligt worden wäre.“ Relevant ist insofern, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB vorliegen, also ob sich für die Mutter aus der Geburt des Kindes Belastungen ergeben, die sie in ihrer Konstitution überfordern und die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres insbesondere auch seelischen Gesundheitszustandes als so drohend erscheinen lassen, dass das Lebensrecht des Ungeborenen dahinter zurückzutreten hätte.

Das Gericht hatte daher noch ein weiteres, psychiatrisches Gutachten eingeholt. Dieses kam aber zu dem Ergebnis, dass zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit bei unterstellt präpartaler Diagnose eine angespannt-ängstliche Grundverfassung um das Kind bei der Mutter vorgelegen hätte. Der Schweregrad ließe sich jedoch retrospektiv nicht sicher einordnen. Jedenfalls könne ein hoher Schweregrad der Ängste unter anderem auch aufgrund der selbst später nicht notwendigen fachpsychiatrischen Unterstützung nicht vorgelegen haben. Zudem stellte das Gutachten fest, dass — entsprechend der strengen Vorgaben der Rechtsprechung — die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Patientin, selbst wenn sie vorgelegen hätte, auch auf andere, zumutbare Weise durch psychologische Unterstützung hätte abgewendet werden können. Im Ergebnis verneinte das Gericht daher die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB.

Was bedeutet das Urteil für den klinischen Alltag?

Viele Klagen scheitern daran, dass Patienten nicht beweisen können, dass ein Fehler wirklich kausal für einen Schaden wurde. Daher wird immer heftig um Gründe für eine Beweislastumkehr gestritten, etwa die Wertung, dass ein Fehler sogar schlichtweg unverständlich erscheint und damit als grober Behandlungsfehler. Hier bedingte nun aber sogar schon der einfache Diagnosefehler, dass sich die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs für die Eltern wirklich gar nicht mehr erst stellen konnte. Allein dies führte allerdings trotzdem nicht zur Haftung, da insbesondere nicht allein schon die Behauptung, dass eine Schwangerschaft bei früherer Diagnose einer Fehlbildung abgebrochen worden wäre, ausreicht, um eine rechtmäßige Indikation dafür annehmen zu können. Vielmehr wird § 218a Abs. 2 StGB von Gerichten in solchen Fällen streng geprüft. Für eine Haftung reicht weder die bloße Absichtserklärung der Eltern noch vermeintlich automatisch eine schwere Fehlbildung des Kindes, zumal die Rechte des ungeborenen Kindes berücksichtigt werden müssen. Gleichfalls ist daher auch die Vorenthaltung eines Abbruchs nach bloßer Beratungslösung kein Anknüpfungspunkt für Schadensersatz in derartigen Fällen. Allein der Umstand gravierender und belastender Folgen für alle Beteiligten führt rechtlich nicht dazu, voreilig auf eine Haftung schließen zu können.