Von allen Madonnendarstellungen ist diese wohl eine der ungewöhnlichsten. Die Mutter Gottes als Dreiviertelakt aus der Untersicht, in einer Pose, die als lasziv zu bezeichnen wohl noch untertrieben ist. Nicht wenige Interpreten deuten Körperhaltung und Gesichtsausdruck der Dargestellten so, dass sie sich gerade im Augenblick des Liebesaktes befindet. Maria voll der Gnade — in allem uns gleich außer der Sünde — hat Sex in der Reiterposition? Ein starkes Stück.
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„Madonna“,1894, Edvard Munch (1863–1944)
© picture alliance/United Archives/WHA
Aber handelt es sich überhaupt um eine Mariendarstellung? Munch hat das Bild in mehreren Versionen gemalt. Gelegentlich wird es auch unter dem Titel „Liebende Frau“ abgebildet. Letztendlich geht die Zuschreibung „Madonna“ aber auf Munch selber zurück. Noch ein weiteres Indiz gibt es: Der sichelförmige Reif um den Kopf ist eine kaum zu missverstehende Anspielung auf den sonst gebräuchlichen Heiligenschein. Nur eben in sinnlichem Rot.
Nächste Frage: Geht es tatsächlich um Sex? Auch dies dürfte zu bejahen sein. Außer den Versionen in Öl hat Munch auch noch eine Lithografie des Motivs angefertigt. Dabei hat er den Rahmen gleich mitgestaltet. Und zwar auf sehr spezielle Art und Weise. Eine ganze Reihe überdimensionierter gezeichneter Spermien wuseln auf diesem Rahmen um die Madonna herum. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Dennoch täte man Munch sicherlich unrecht, würde man ihm plumpe Provokation oder vordergründige Effekthascherei vorwerfen. Munch, der häufig als früher nordischer Expressionist gesehen wird, war eher am Gegenteil interessiert. Ihm ging es im wahrsten Sinne des Wortes um „die letzten Dinge“. Für diese erschuf er einen ganz eigenen Symbolismus. Sein wohl berühmtestes Bild „Der Schrei“ ist ein solches Symbolbild für die existenzielle Verzweiflung des Menschen in einer zum Schrecken gewordenen Welt. Und so wollte er mit seiner Madonna die Mutter Gottes wohl kaum zur Sünderin uminterpretieren. Vielmehr wurde auch sie zu einem Symbol. „Madonna“ ist die ultimative Verbindung von Erotik und Schmerz, Lust, Leid und Sinnlichkeit. Ein Passionsbild im wahrsten Sinne des Wortes.
Edvard Munch schuf seine Madonna 1894. 1984 landete eine amerikanische Sängerin italienischen Ursprungs mit „Like a Virgin“ ihren ersten Hit. In der sich daran anschließenden ebenso langen wie erfolgreichen Karriere erkundete sie dann systematisch so ziemlich alle Aspekte moderner Weiblichkeit. Vom Girlie über die Femme fatale, vom Sexmaniac bis zur spirituellen Sinnsucherin. Immer wieder löst sie dabei Skandale aus, weil sie gezielt religiöse mit erotischen Motiven verknüpft. Einen passenden Namen hatte sie für dieses Projekt von Anfang an: Madonna.
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Kleine-Gunk, B. Like a Virgin. gynäkologie + geburtshilfe 20, 51 (2015). https://doi.org/10.1007/s15013-015-0805-9
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