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Dr. Patrick M. Lissel stellt unter „Alles was Recht ist“ gerichtliche Entscheidungen aus dem Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe vor.

Nach Anhörung der Parteien war das Landgericht davon überzeugt, dass die in der 31. Schwangerschaftswoche (SSW) befindliche Patientin dem Gynäkologen gegenüber von einer Verhärtung in ihrer rechten Brust berichtet habe. Der Gynäkologe habe die Brust aber nicht untersucht, sondern lediglich geäußert, diese müsse sich umbilden. Das Landgericht gab dem Sachverständigen auf, die Frage eines Behandlungsfehlers unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts gutachterlich zu prüfen.

Im Rahmen seines Gutachtens führte der Sachverständige aus: „Wenn eine Patientin von einem Knoten in der rechten Brust berichtet, ist der Frauenarzt verpflichtet, dieser Aussage nachzugehen. Die Unterlassung einer Untersuchung wäre ein Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst. […] Gutachterlicherseits muss jedoch festgestellt werden, dass mehrere Aspekte des Sachverhaltes nur schwer vorstellbar sind. So gibt es für einen Frauenarzt absolut keinen Grund, einem solchen Hinweis nicht nachzugehen, die Missachtung ist völlig unvorstellbar. […] Ein Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln bestünde aber nur im Falle eines eindeutigen Beweises, dass einerseits die Patientin dem Gynäkologen von einem Knoten berichtet hat und andererseits der Gynäkologe diesem Hinweis nicht nachgegangen ist.“

Hierauf hat die Patientin den Sachverständigen als befangen abgelehnt. Der Sachverständige äußerte sich hierzu wie folgt: „Als Gutachter steht es mir frei, Zweifel an Aussagen zu äußern, wenn diese nicht nur medizinisch völlig abwegig sind, sondern auch jeder Logik entbehren. Wenn eine Patientin berichtet, dass in ihrer Brust eine Verhärtung neu aufgetreten ist, würde jeder Medizinstudent, jeder Arzt und ein Facharzt für Frauenheilkunde allemal diese untersuchen wollen. […] Meine Zweifel beruhen auch darauf, dass diese Untersuchung sehr kurz ist und der Arzt diese auch bezahlt bekommt. Dass ein Arzt also trotzdem die Brust nicht untersucht, klingt für mich absurd.“

So sah das Gericht den Fall

Das Landgericht Magdeburg hat den Befangenheitsantrag zurückgewiesen (Beschluss vom 22.11.2013, Az. 9 O 415/11), hingegen gab das OLG Naumburg dem Antrag statt (Beschluss vom 27.3.2014, Az. 10 W 1/14). Ein Sachverständiger könne abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen und besonnenen Partei geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es komme nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich voreingenommen ist oder ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hegt. Maßgeblich sei allein, ob für die ablehnende Partei der Anschein der nicht vollständigen Unvoreingenommenheit besteht.

Vorliegend habe der Sachverständige gegen § 404 a Abs. 3 ZPO verstoßen, wonach bei streitigen Sachverhalten allein das Gericht bestimmt, welche Tatsachen der Sachverständige der Begutachtung zugrunde legen soll. Hierzu heiße es auch in den Empfehlungen der AG Medizinrecht der DGGG zur Abfassung von Gutachten in Arzthaftungsprozessen, dass sich der Sachverständige bei Zweifeln an Inhalt und Umfang seines Auftrags zur Klärung mit dem Gericht in Verbindung setzen soll. Nach den Vorgaben des Landgerichts habe der Sachverständige von einem bestimmten Sachverhalt ausgehen müssen. In seinen Äußerungen habe der Sachverständige jedoch die Grenze zwischen zulässiger Fassungslosigkeit über ein nicht mehr verständliches ärztliches Handeln einerseits und dem unzulässigen Unglauben andererseits, dass es sich nämlich tatsächlich so zugetragen habe, überschritten. Der Sachverständige lasse unmissverständlich erkennen, dass er sich innerlich nicht in der Lage sieht, den vom Gericht vorgegebene Sachverhalt zu akzeptieren.

Was bedeutet das Urteil für die gutachterliche Tätigkeit?

Der (gekürzte) Leitsatz des OLG Naumburg bringt es auf den Punkt: Formuliert das Gericht im Beweisbeschluss eindeutig den Sachverhalt, den der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde legen soll, so begründet der Sachverständige die Besorgnis der Befangenheit, wenn er die geschilderten Abläufe als „völlig unvorstellbar“ ansieht und ausführt, er habe „erhebliche Zweifel, dass es sich so zugetragen haben könnte“ und ein dann anzunehmender Behandlungsfehler „bestünde nur im Falle eines eindeutigen Beweises“.