Eine aktuelle Ausstellung in Berlin nimmt "Haut" unter die Lupe und offenbart einen Blick aus verschiedenen künstlerischen Perspektiven auf sie.

Unter dem Titel "HAUT - Hülle, Organ, Archiv" versammelt eine aktuelle Ausstellung in Berlin Arbeiten 28 internationaler Künstlerinnen*. Zu Künstlerinnen* und Frauen* werden im Kontext der Ausstellung Cis-Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen gezählt. In Film- und Tonaufnahmen, Fotografien, Skulpturen, Malereien, Zeichnungen, Collagen, Installationen und Performances setzen sich diese mit dem Thema Haut auseinander.

Ausstellungsthema und -ort im Kontrast

Unser größtes Sinnesorgan ist aus einzigartigem Material: Die dünne, durchlässige Schicht ist flexibel, dehnbar, hochsensibel, verletzbar, erogen. Diese empfindliche Schutzschicht steht in krassem Widerspruch zum Ort der Ausstellung: der Zitadelle in Berlin-Spandau, eine Festung mit meterdicken Mauern. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hier Kampf- und Vernichtungsgase getestet; erst seit 1960 wird dieser stark kriegerisch und patriarchal konnotierte Ort regelmäßig kulturell genutzt.

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© Ivonne Thein

Ein Blick in die Ausstellung in der Zitadelle in Berlin-Spandau

Intime Archive

Für das Zeigen von Haut wurden schon immer gesellschaftlich oder religiös motivierte Regeln formuliert - und fast alle betreffen die Körper von Frauen. Weibliche Nacktheit wird zumeist entweder mit Unschuld und Schutzlosigkeit oder mit sexueller Freizügigkeit assoziiert - auch dies patriarchale Interpretationen. Dass nackte Haut auch Provokation und Protest bedeuten kann, demonstrierten bereits Künstlerinnen* wie Valie Export. Vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung wiederum wird die Haut, etwa der Fingerabdruck, zum "archaischen QR-Code", so die Kuratorinnen der Ausstellung, Julie August und Katharina Koch. Vor allem aber liegen unter der Haut als scheinbarer Oberfläche Erfahrungen, Verletzungen und Emotionen verborgen. Einige dieser "intimen Archive" (August/Koch) will die Ausstellung freilegen.

Eine grobe Strukturierung erfolgt anhand von drei Themenfeldern. Der Schwerpunkt "Hülle" nimmt Haut als Schutzschicht und Projektionsfläche in den Blick. Anja Sonnenburg und Manja Ebert etwa fokussieren auf das "objektive" Erfassen von Individualität durch Fingerabdruck und Face Tracking. Mehtap Baydus Boden- und Porzellanobjekte und Ina Geißlers "Körperzäune" wiederum thematisieren Haut als (Körper-)Hülle zwischen Innen- und Außenwelt.

Das Themenfeld "Organ" nähert sich der Wahrnehmungsfunktion der Haut, etwa in Form von Verletzlichkeit, Erotik, Berührung und Ekel. So porträtieren die fotografischen Nahaufnahmen von Andrea Golla und Loredana Nemes Poren, Verletzungen und Unebenheiten. Die Videoskulptur "Horizontal" von Yvon Chabrowski nähert sich dem faltenreichen Körper der alternden Protagonistin. In den Arbeiten von Margherita Pevere, bestehend aus Proben mikrobieller Zellulose, wird Haut hingegen zum wissenschaftlichen Untersuchungsobjekt.

Der Bereich "Archiv" kreist um das Thema Haut als Speicher von Wissen, Erfahrungen und Traumata. So verbindet Anguezomo Mba Bikoro in ihrer Audioinstallation weiße Vorherrschaft, Ungleichheit und koloniale Praktiken mit menschlichen Tragödien in Kamerun und Deutschland. Yishay Garbasz hingegen brennt sich die Auschwitz-Nummer ihrer Mutter auf den Arm; den Akt sowie den anschließenden (Wund-)Heilungsprozess dokumentiert sie fotografisch und audiovisuell.

In ihrer Installation "Becoming" schließlich vereint Yishay Garbasz alle drei Ausstellungsbereiche: Anhand von Fotografien dokumentiert sie den Prozess ihrer Geschlechtsangleichung.

Indem die Ausstellung anhand von Haut die vielschichtige Verflechtung von Klassismus, Rassismus, Ableismus, Sexismus und Ageismus sichtbar macht, will sie einem maskulin geprägten Ort feministische Gegenerzählungen entgegensetzen.