"Die Diagnose eines Angioödems ist in einigen Fällen gar nicht so leicht", gestand Dr. Frank Siebenhaar, Berlin. "Wir sollten uns immer an der Kinetik orientieren: Wie lange dauert es, bis eine Schwellung entsteht, wie lange hält sie an, wie lange dauert es, bis sie wieder komplett verschwunden ist, verschwindet sie überhaupt komplett und gibt es Begleitphänomene - juckt das, brennt das, tut das weh, ist das rot, ist das überwärmt? Das sind alles Dinge, die uns bei der klinischen Differenzialdiagnose und bei der Frage, ob es sich um ein Angioödem handelt, sehr helfen", fasste er zusammen.

So würden zum Beispiel Emphysem und Erysipel Tage dauern und mit Überwärmung, Brennen, Juckreiz oder Schmerzen einhergehen, wohingegen die Schwellung bei der Waldenström-Makroglobulinämie oder beim Lymphödem sehr lange anhalten würden. Knifflig sei auch die Unterscheidung zur Cheilitis granulomatosa: "Am Anfang kann man das klinisch mit einem Angioödem verwechseln", meinte Siebenhaar. Denn anfangs würde sich die Schwellung wieder zurückbilden, dann aber mit einem Crescendo-Phänomen irgendwann persistieren. "Beim Angioödem kommen die Schwellungen sehr schnell, sie entstehen innerhalb von Stunden und bilden sich spätestens nach 72 Stunden komplett zurück. Sie haben in der Regel keine Begleitsymptomatik, kein Brennen, keine Rötung, keine Schmerzen, die Patienten berichten vielleicht von einem Druckgefühl", erklärte Siebenhaar.

Unterschieden wird zwischen Mastzell-vermittelten und Bradykinin-vermittelten Angioödemen. Hierfür sei es "ganz entscheidend, den Patienten nach Quaddeln zu fragen: Ein Patient, der zusätzlich zu seinem Angioödem Quaddeln hat, leidet sehr wahrscheinlich an einem mastzellvermittelten Angioödem; die Bradykinin-vermittelten Angioödeme verursachen bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Quaddeln", stellte Siebenhaar klar. Da die meisten Mastzell-vermittelten Angioödeme eigentlich eine Urtikaria sind, würde die Erkrankung dann nach der Urtikaria-Leitlinie behandelt werden. Eine Differenzialdiagnose bei Quaddeln, die länger als 24 Stunden bestehen und die mit Begleiterscheinungen wie Gelenkschmerzen auftreten, ist die Urtikaria-Vaskulitis.

Bradykinin-vermittelte Angioödeme würden nicht wie die Urtikaria auf Antihistaminika und Omalizumab ansprechen. Weitere Indizien für Bradykinin-vermittelte Angioödeme seien zum Beispiel eine familiäre Häufung und ein Krankheitsbeginn in der Kindheit. Darüber hinaus sollte man laut Siebenhaar immer abklären, ob die Patientin oder der Patient einen ACE-Hemmer einnimmt. Dies könnte ein Hinweis auf eine therapieinduziertes Bradykinin-vermitteltes Angioödem sein.

Siebenhaar F. Differenzialdiagnosen bei Schwellung der Haut. Plenarsitzung: "Angioödeme und Urtikaria - Wohin geht der Weg?"; 9. September 2022