Die brasilianische Künstlerin Lygia Pape gilt als eine Schlüsselfigur der neokonkreten Bewegung in Brasilien. Seit Mitte März widmet ihr die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen eine Einzelausstellung.

Ein amorphes Wesen wälzt sich durch die Straßen von Rio de Janeiro: eine wogende Menge von Köpfen, die auf einem Meer aus weißem Stoff auf und ab tanzen, ohne offensichtliche Choreographie, und doch verbunden durch die textile "Haut" und den performativen Charakter des Projekts.

Weltweit aufgeführte Performance

Initiatorin des Projekts ist die Künstlerin Lygia Pape, eine der wichtigsten Vertreterinnen der neokonkreten Bewegung der 1950er- und 1960er-Jahre in Brasilien. Die Performance mit dem Titel Divisor ("Teiler") wurde erstmals 1968 in Rio de Janeiro aufgeführt, später aber in Großstädten rund um die Welt wiederholt. Protagonisten sind hunderte von freiwilligen Teilnehmenden aus dem Publikum - und ein riesiges Stück weißer Stoff. Unter diesem Stoff verschwinden die Körper der Einzelnen, lediglich die Köpfe, die durch einen Schlitz im Stoff geschoben werden, bleiben sichtbar. Während die Vielzahl der "Performer" sich gleichsam als ein Körper mit unzähligen Häuptern durch den öffentlichen Raum bewegen, bilden sich stetig neue Formen. Der Stoff wird nicht nur zwischen den einzelnen Köpfen, sondern gleichsam auch zwischen subjektiver Wahrnehmung der Teilnehmer und kollektiver Erfahrung aufgespannt.

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© Projeto Lygia Pape

Lygia Papes Performance-Kunstwerk "Divisor", aufgeführt 1990 in Rio de Janeiro

Die Idee hinter dem Projekt beschrieb Pape so: "Teiler. Die Haut von ALLEN: glatt, leicht wie eine Wolke: locker". Pape erwähnt die kollektive Erfahrung - "Luft pumpen unter unserer immensen Haut: gemeinsam" -, beschreibt aber auch den zwiespältigen Aspekt der Trennung in der Natur dieses Wesens, das durch eine gemeinsame Haut verbunden wird: "ein Körper unten, erschlafft, und der unruhige Kopf oben: Köpfe-Köpfe-Köpfe wie Punkte, die auf und ab gehen, wie neugierige Richtungen des Blicks: Netzhaut."

Lygia Pape wurde 1927 in Nova Friburgo, Brasilien, geboren und starb 2004 in Rio de Janeiro. Sie absolvierte ihr Kunststudium am Museu de Arte Moderna do Rio de Janeiro und erlangte unter anderem als Malerin, Graveurin, Bildhauerin und Filmemacherin internationale Bedeutung.

1947 trat Pape der in Rio de Janeiro beheimateten Grupo Frente bei, die sich der Erforschung geometrischer Abstraktion und konkreter Kunst widmete. Die neokonkrete Bewegung war davon überzeugt, dass Kunst den Betrachter aktiv beteiligen solle. Dem trug Lygia Pape insbesondere mit ihren immersiven Rauminstallationen oder kollektiven Performances und Erkundungen des öffentlichen Raums Rechnung. Vor dem Hintergrund der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) erhalten die ethischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen ihrer Arbeiten besondere Relevanz.

Papes Werk umfasst neben Gemälden, Zeichnungen, Installationen und Performances auch Reliefs, Holzschnitte, Ballettkompositionen, Skulpturen, Gedichte und experimentelle Filme. Ihre Arbeiten wurden in Brasilien und international ausgestellt - etwa auf der São Paulo Biennale und der Biennale di Venezia. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen widmet Pape nun die erste Einzelausstellung in Deutschland.