Die sorgfältige Organisation der eigenen Praxisabläufe ist aus haftungsrechtlicher Sicht ebenso wichtig wie die fachgerechte Ausübung der ärztlichen Heilkunde.

Ein Patient begehrte Schadensersatz wegen der Verwechslung von Biopsiepräparaten, die sein Hautarzt bezüglich Veränderungen an der rechten Schulter und im Nacken genommen hatte. Das Labor befundete für die Schulter ein fortgeschritten ulzeriertes invasiv superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM) und für den Nacken ein fortgeschritten solid-adenoides Basaliom (Basalzellenkarzinom), weshalb sich der Kläger darauf einer Entfernung der Veränderung an der Schulter und einer Sentinellymphonodektomie axillär unterzog. Da der Kläger auch schon eine Verwechslung der Proben befürchtete, ließ er zudem eine Re-Biopsie im Nacken durchführen. Die Ergebnisse bestätigten seinen Verdacht, woraufhin eine weitere OP bezüglich des Nackens und eine Sentinel-Lymphknoten-Exstirpation zervikal folgten. Aufgrund der Erst-OP litt der Kläger unter Belastungen, die das überstiegen, was bei jedem Eingriff normal wäre. Er hatte länger Schmerzen, konnte Schulter und Arm wochenlang nicht richtig nutzen und litt unter einem anhaltenden Spannungsgefühl und eingeschränkter Beweglichkeit, die zudem auch seine Sporttrainerausbildung beeinträchtigten.

So sah das Gericht den Fall

Das Landgericht Göttingen gab der Klage dem Grund nach wegen mangelhafter Organisationsmaßnahmen statt, da dem Beklagten die sichere Vermeidung einer Probenvertauschung möglich gewesen wäre, was nach den Feststellungen aus der Beweisaufnahme aber nicht ausreichend gewährleistet war (Urt. v. 13.6.2017, 12 O 16/14). Während die Sachverständige an den Abläufen des Beklagten noch nicht relevante Kritik übte, sah das Gericht dies vor allem bezüglich Biopsien an mehreren Stellen gleichzeitig differenzierter. So sei nicht gewährleistet gewesen, dass eine von der schon bezüglich Unterlagen und Materialien vorbereiteten Entnahme abweichende Reihenfolge und Lokalisation der Proben wirklich auffallen musste. Denn der Beklagte verglich nicht nochmals selbst im Sinne des Vier-Augen-Prinzips jeweils die Zuordnung der entnommenen Proben zum vorbereiteten, nummerierten Röhrchen und auch bei Anreichung wurde nur die fortlaufende Nummer genannt, nicht noch mal die jeweilige Lokalisation. Auch der Verweis auf die Arzthelferinnen als Fachpersonal reichte nicht, die zudem nicht immer uneingeschränkte Sicht auf die Entnahmestellen hatten. Zwar stand noch im Raum, dass es theoretisch auch erst im Labor zur Verwechslung gekommen sein konnte - daher war auch diesem der Streit verkündet worden. Bei dieser Ungewissheit half dem Kläger aber § 830 Absatz 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der der Überwindung von Beweisschwierigkeiten Geschädigter dient, deren Ersatzanspruch nicht daran scheitern soll, dass nicht mit voller Sicherheit festgestellt werden kann, wer von mehreren Beteiligten, deren Handlung jede für sich geeignet war, den Schaden zu verursachen, der eigentliche Schädiger gewesen ist. Schließlich wurde der Kausalverlauf auch nicht unterbrochen, weil die Exzision an der Schulter trotz bereits aufgekommener Zweifel des Klägers durchgeführt wurde. Denn laut Sachverständiger war das Vorgehen dennoch zulässig, da der "harte", schriftlich histologische Laborbefund vorlag. Im Gegenteil sei es eher erstaunlich und im Nachhinein ein glücklicher Umstand, dass die Nachbehandler allein aufgrund der Zweifel des Klägers nochmals eine Re-Biopsie vornahmen.

Was bedeutet das Urteil für den klinischen Alltag?

Das Urteil zeigt neben den obigen Punkten noch weitere, juristisch interessante Aspekte. So zum Beispiel, dass das Gebot der Zuziehung sachverständiger Expertise Gerichten nur verbietet, medizinische Standards ohne sachverständige Grundlage allein aus eigener Beurteilung heraus festzulegen. Sie können und müssen aber sogar die Angaben von Sachverständigen eigenverantwortlich prüfen, ob und inwieweit sie dem auch rechtlich aufzufassenden, medizinischen Standard entsprechen (können). Die "take-home-message" des Falls ist daneben klar: Bei Gestaltung und selbstkritischer Prüfung praxisinterner Abläufe kann gar nicht zu viel Sorgfalt aufgewendet werden, zumal nach § 630h Absatz 1 BGB Behandlungsfehler vermutet werden, wenn sich beim Patienten Risiken verwirklichen, die für Ärzte eigentlich voll beherrschbar sind.

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Dr. Martin Sebastian Greiff

stellt in dieser Rubrik gerichtliche Entscheidungen aus dem Fachbereich Dermatologie vor.