Als einer der radikalsten Vertreter des Wiener Aktionismus setzt Günter Brus in den 1960er-Jahren seinen gesamten Körper als Leinwand ein und sprengt damit die Grenzen der Malerei.

Anlässlich des 80. Geburtstags von Günter Brus zeigte das 21er Haus im Wiener Belvedere im Jahr 2018 die Retrospektive "Unruhe nach dem Sturm". Sie erinnert an legendäre Aktionen des Künstlers, der einst verurteilt, später mit Anerkennung überhäuft wurde.

Der Körper ist politisch

Brus, der in Wien Malerei studiert hatte, war vom abstrakten Expressionismus beeindruckt. Ab 1960 zeigte sich in seinem Schaffen der Versuch, das herkömmliche Bildformat zu sprengen. Er begann, die Kunst auf sich selbst zu übertragen: "Ich pinselte meinen Körper vollständig weiß und führte dann mit schwarzer Farbe Selbstbemalungen durch."

Auf Werke wie "Handbemalung. Kopfbemalung. Kopfzumalung", ein stundenlanger Selbstbemalungsprozess, folgten Performances mit Titeln wie "Selbstverstümmelung", "Starrkrampf", "Transfusion", "Tortur", intendiert als Fortschreibung der informellen Malerei. Bei "Transfusion", einer theatralen Darstellung des Geburtsaktes, kamen Nägel, Drähte, Rohre, Messer und rote Farbe zum Einsatz. "Und dann ist die Rasierklinge gekommen als Ersatz für den Zeichenstift", so Brus. Und nicht nur das. "Alle Produkte, die der Mensch ausscheidet, inklusive Urin, Kot und Tränen, sollten verwendet werden, nicht mehr angekaufte Pinsel und Leinwand."

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Günter Brus im Jahr 2018 im Belvedere 21 Wien vor der Fotostrecke seiner Aktion "Ana" (1964)

Der Wiener Aktionismus, inspiriert unter anderem durch die Schriften des Marquis de Sade, wollte schockieren und strukturelle Gewalt des politischen Systems anprangern. Die Auffassung der Achtundsechziger, dass alles Private politisch sei, münzte Günter Brus in radikaler Weise auf seinen eigenen Körper um. In seinen autoaggressiven Performances durchbrach er die "Leinwand Haut" mit Reißzwecken, Nägeln, Rasierklingen. An seinem eigenen Körper wollte er die Unterdrückung durch den Staat sichtbar machen; mit seiner Hilfe wollte er aber auch die Verfügungsgewalt über sich selbst zurückgewinnen.

Überschrittene Grenzen

Nach der Geburt seiner Tochter Diana 1967 radikalisierte Brus seine Aktionen zunehmend und überschritt fast jegliches Tabu. In seinen Performances traten alle Körpersäfte an die Oberfläche, während der Veranstaltung "Kunst und Revolution" legte sich Brus auf einen Tisch, begann zu onanieren und sang dabei die österreichische Nationalhymne. Dies führte zum öffentlichen Protest und Brus wurde wegen Herabwürdigung des Staatssymbols zu sechs Monaten verschärftem Arrest verurteilt.

Die "Zerreißprobe", aufgeführt 1970 im Aktionsraum München, war Brus' letzte und radikalste Performance: Angezogen lediglich mit Unterhose, Seidenstrümpfen und Strapse kniet Brus auf einem weißen Tuch. Mit einer Rasierklinge ritzt er seinen Oberschenkel. Daraufhin uriniert er in ein Glas, trinkt. Nun nackt, fesselt er seine Knöchel, schneidet in seine Kopfhaut; springt auf, windet sich, schlägt auf sich selbst ein, und bleibt schließlich regungslos am Boden liegen.

Auf Wunsch seiner Frau Anna, die bei Brus' Aktionen häufig als seine künstlerische Partnerin agiert hatte, beendete er nach der "Zerreißprobe" seine Performances und wandte sich einem anderen Schaffensgebiet zu: Seine Text-Bild-Collagen, von ihm als "Bild-Dichtungen" bezeichnet, sollten ihn schließlich zum gefeierten Künstler machen. Für sein Lebenswerk erhielt Brus 1996 den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst. Ermöglicht durch einen großen Sammlungsankauf des ehemaligen Kulturreferenten der Steiermark, Kurt Flecker, wurde 2011 in Graz ein eigenes Brus-Museum - das "BRUSEUM" - eröffnet.