Hel, in der nordischen Mythologie die Göttin des Totenreichs, ist zur Hälfte tot, zur Hälfte lebendig. Diese Verkörperung extremster Dualität zeigt sich auch in ihrer Hautfarbe.

In der nordgermanischen Mythologie, die in vorchristlicher Zeit im skandinavischen Raum verbreitet war, ist die Göttin Hel die Herrscherin über die gleichnamige Unterwelt, bisweilen auch Helheim genannt.

Hel und ihre beiden Geschwister, der Fenriswolf und die Midgardschlange, gehören dem Geschlecht der Riesen an. Weil die Götter sie fürchteten, wurde der Fenriswolf angekettet, die Midgardschlange von Odin ins Meer geworfen, und Hel aus Asgard, dem Wohnort des Göttergeschlechts der Asen, verbannt. Daraufhin gründete sie im Norden, unter den Wurzeln der Weltenesche Yggdrasil, ein eigenes Reich. Dorthin holt sie alle, die den "Strohtod" - also in ihrem Bett an Alter oder Krankheit - gestorben sind. Ertrunkene hingegen gehören der Meeresgöttin Rán, während gefallene Krieger an Odins Tafel in Walhall geholt werden.

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Die Todesgöttin Hel umgeben von ihren Geschwistern, der Midgardschlange und dem Fenriswolf. Die Figur im Hintergrund ist ihre Mutter Angrboda (Emil Doepler, 1905)

Die Hölle - ein freundlicher Ort?

Das deutsche Wort "Hölle" und das altnordische Hel gehen, ebenso wie das urgermanische haljō ("Hölle, unterirdische Totenwelt"), auf die germanische Sprachwurzel hel, hal ("verbergen") zurück. Auch andere germanische Sprachen wie Althochdeutsch ("hell(i)a"), Mittelhochdeutsch ("helle") oder Englisch ("hell"), kennen den Begriff, der auch dem heutigen Wort "verhehlen" (verbergen) verwandt ist. Das Totenreich Hel bezeichnet also einen verborgenen Ort.

Erreichbar ist dieser Ort über eine goldene Brücke, die den Jenseitsfluss Gjöll überspannt und von der Jungfrau Móðguðr ("zorniger Kampf") bewacht wird. Der Höllenhund Garm wacht über den Eingang ins Reich der Unterwelt.

Im christlichen Mittelalter wird das Reich der Hel verstärkt mit abschreckenden Symbolen aufgeladen, etwa in der "Gylfaginning", einem Teil der Snorra-Edda, die der Dichter und Historiker Snorri Sturluson im 13. Jahrhundert als Kompilation altnordischer Überlieferungen anlegte: Der Tisch der Hel heißt hier Hungr (Hunger), ihr Bett Kor (Sarg).

Doch im Gegensatz zur christlichen Vorstellung der Hölle war Helheim ursprünglich nicht ausschließlich negativ konnotiert. Menschen, die zu ihren Lebzeiten Verbrecher waren, leiden hier ewige Qualen. Andere aber finden im Reich der Hel einen warmen, freundlichen Ort. Jene wenigen, die aus Helheim ins irdische Leben zurückkehren durften, schildern das Wiedersehen mit verstorbenen Freunden und Verwandten in hell erleuchteten Hallen.

Kompromisslos gerecht

Ebenso wie das Reich Helheim weist auch dessen Herrscherin zwei Seiten auf: Gnadenlos gegenüber jenen, die es verdienen, liebevoll gegenüber anderen. Diese gegensätzlichen Wesenszüge spiegeln sich in ihrem Äußeren. Die eine Hälfte ihres Gesichts ist blauschwarz, die andere von normaler Hautfarbe. Ebenso wie die uns bekannte "Frau Holle" - die sich etymologisch auf dieselbe Wurzel zurückführen lässt - ist Hel kompromisslos gerecht; ihre helle und dunkle Seite lassen an das Gold und Pech denken, das Frau Holle herabregnen lässt. Anderen Beschreibungen zufolge ist Hel zur Hälfte eine wunderschöne, junge Frau, während die andere Hälfte ein Skelett darstellt. Halb tot und halb lebendig, zur Hälfte jung und zur Hälfte alt, vereint Hel somit in ihrer Person die denkbar extremsten Gegensätze, symbolisiert Hoffnung neben unausweichlicher Vergänglichkeit.