In Eva Menasses Roman "Quasikristalle" ist die Haut Gradmesser des Verstreichens von Zeit - und ein Hinweis auf den Versuch, eben das zu negieren.

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Falten als Zeichen der verstrichenen Zeit somit Kennzeichen der eigenen Identität.

Xane Molin heißt die Protagonistin in Eva Menasses Roman "Quasikristalle", die sich erst nach einiger Zeit als eigentlicher Dreh- und Angelpunkt der Geschichte herauskristallisiert. In den einzelnen Kapiteln wird Xane aus der Perspektive unterschiedlicher Menschen geschildert: Verehrer, Freundinnen, Angestellte, Stieftochter, Vater, Sohn; auch sie selbst kommt zu Wort.

Angefangen mit ihrer Kindheit in Wien folgt die Erzählung Xane nach Berlin, wo sie eine erfolgreiche Agentur gründet, und wieder zurück nach Wien, wo sie nach dem Tod ihres Mannes, mit einem ihrer früheren Verehrer neu beginnen will.

Haut als Identität

Im Laufe der Geschichte werden Xanes unterschiedliche charakterliche Facetten geschildert - aber auch die Veränderung ihres Äußeren. Etwa, wenn festgestellt wird, dass sie nun mehr Falten hat als noch beim letzten gemeinsamen Treffen. Haut ist Identität und zeigt das Vergehen der Zeit an.

So schildert Xane in einer Mischung aus Bitterkeit und Ironie, wie sich der eigene Körpers nach der Geburt ihres Kindes verändert. In einer solchen Situation gebe es zwischen den Partnern keine Sexualität, "die den Namen verdient", denn: "Die Brüste sehen aus wie Landkarten, mit hormonell geweiteten Adern als Flussläufen. Doch der Mann wird männlich zeigen, dass sich nichts verändert hat, dass man sie [die Frau] auch nach der Geburt begehrt wie vorher und nicht auf die Mutterrolle reduziert."

Nelson wiederum stellt fest, dass er beim Sex mit einer anderen Frau öfter an Xane gedacht hatte, "wie sie Fratzen zog, um ihm zu zeigen, wo sie überall Falten hatte, beziehungsweise, wo sie sich liften lassen müsste, um jünger auszusehen. Es war einerseits rührend, wie sie über das Altwerden klagte, als wollte sie […] einen Teil der Jahre vergessen machen, die zwischen ihnen lagen."

In Würde altern

Allerdings zieht Xane ein Lifting nie ernsthaft in Betracht - anders als ihre Mutter möchte sie in Würde altern. Ihre Mutter Helga hatte sich ausgedehnte Besuche auf burgenländischen Schönheitsfarmen gegönnt, nach denen sie äußerlich seltsam verjüngt zurückgekehrt war: Sie wollte bis zuletzt, selbst nach dem Tod, "appetitlich" aussehen, wie es bei ihrer eigenen Mutter der Fall gewesen war. Und so hörte sie schließlich einfach auf zu altern; zuletzt war sie "ein winzig-zarter, steinalter Engel mit seidigem Haar, der fast gar keine Falten hatte". Als könne sie dadurch die Zeit selbst und damit auch den Tod überlisten.

Zeitreise

Die Haut wird somit zum Kennzeichen der eigenen Identität - ob authentisch oder geheuchelt. Sie ist aber auch Gegenstand von Erinnerung. Im Rahmen seines runden Geburtstags, den er mit der gesamten Familie in Wien feiert, erinnert sich Xanes Vater Kurt an eine Begebenheit aus dem Krieg: Als Junge hatte er sich im Heuschober, unter dem Stroh, vor der SS versteckt. Einer der jungen Soldaten, die mit Heugabeln den Stadel durchkämmt hatten, war mit seinem Stiefel beinahe auf Kurts Oberarm getreten. Tatsächlich war ein kleines Stückchen Haut unter den schweren Stiefel geraten, es war "ein Gefühl, als würde einem der Ärmel enger gemacht, nur dass das Abgesteckte, Abgeklemmte nicht Stoff, sondern der eigene Körper war."

Zu diesem "entscheidensten Moment seines Lebens" schlägt Kurt die Brücke in einem Moment, da er sich wünscht, seinen Kindern und Enkeln näher zu sein als bisher, die ritualisierten, oberflächlichen, kurzen Besuche zu ersetzen durch ein tieferes Verständnis füreinander. Ähnlich wie in der Szene zwischen Xane und Nelson wird Haut abermals zum Auslöser für das (gedankliche) Überbrücken einer real gelebten Zeit - und für die Reflexion der eigenen Identität.

Zum Weiterlesen: Eva Menasse, Quasikristalle (Roman). Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, ISBN 978-3-462-04513-0