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Die Verfahren bei Arzthaftungsfragen und der Begutachtung möglicher Behandlungsfehler müssen weiterentwickelt werden, damit das Thema „Organisationsversagen“ mehr Gewicht bekommt. Dafür plädiert der Arzt und Jurist Prof. Peter Gaidzik, Leiter des Instituts für Medizinrecht an der Universität Witten/Herdecke. Als mögliches Vorbild sieht er die „Pre-trial discovery“ aus dem angloamerikanischen Rechtsraum. Es bezeichnet die dem eigentlichen juristischen Verfahren vorgelagerte, richterlich geleitete Zeugenbefragung und Beweisermittlung. Aus Gaidziks Sicht wäre dieses Vorgehen auch hierzulande sinnvoll.

Schutz vor ökonomischen Zwängen

Ärzten könnte dieses Vorgehen beispielsweise helfen, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis für Klinikverwaltungen einen anderen Stellenwert bekommt. Gaidzik: „Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ein solches, unserem Prozessrecht bislang fremdes Prozedere der Ärzteschaft Instrumente in die Hand geben könnte, sich gegen Tendenzen in der Verwaltung zu wehren, das Behandlungsgeschehen stets auf den ökonomischen Vorgang der Dienstleistungserbringung herunterzubrechen und das Arzt-Patienten-Verhältnis im Sinne eines bloßen Erbringers und Nutzers von Leistungen in der Gesundheitsversorgung zu simplifizieren.“ Im Moment sei der Bereich der Organisationshaftung trotz seiner zunehmenden Bedeutung keiner systematischen Kontrolle zugänglich — weder bei Zivilgerichten noch bei der Überprüfung der Behandlungsdokumentation durch Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, so Gaidzik weiter. Er verweist darauf, dass angesichts der immer besser werdenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen die Risikobereiche ärztlichen Handelns nicht kleiner werden. „Gerade die immer stärker werdende Arbeitsteilung in den Kliniken, verstärkt durch den Zwang zur Wirtschaftlichkeit mit entsprechenden Konsequenzen für die Ausstattung und — last but not least — den Personalschlüssel, verstärkt die Tendenz, ärztliches oder pflegerisches Handeln als ‚gefahrgeneigte Tätigkeiten‘ betrachten zu müssen.“

Knackpunkt Dokumentation

Obwohl diese Entwicklung nicht ohne Folgen für die Qualität der Versorgung bleibe, könne das deutsche Haftungsrecht mit dem Verbot des Ausforschungsbeweises nur begrenzt eingreifen. Der Grund: Organisationsdefizite im Klinikbetrieb spiegeln sich nur selten in der individuellen Behandlungsdokumentation des Patienten wider, erläutert Gaidzik. „Mängel in der personellen Besetzung, Abteilungskoordination und nicht zuletzt -kommunikation oder auch in der Organisation der Rufbereitschaft werden in aller Regel nur per Zufall zu Tage treten.“ Der Patient werde kaum in Erfahrung bringen können, ob ein Behandlungsfehler das Resultat eines Konzentrationsmangels des übermüdeten Assistenzarztes oder seiner unguten Erfahrungen mit einem mehrfach aus dem Schlaf gerissenen Facharztes im Hintergrunddienst ist. „Um hier das Haftungsrecht wirkungsvoll als Instrument einzusetzen, bedürfte es neuer Wege im Prozessrecht“, so Gaidzik.

Für die Zukunft hält es der Medizinrechtler auch für denkbar, dass sich die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen im Bereich der Mediation engagieren könnten. Grundsätzlich entlastet die Arbeit der Kommissionen nach Einschätzung von Gaidzik nicht nur die Gerichte. Sie ist auch in der Lage, die dort durch den fehlenden medizinischen Diskurs bestehenden Defizite auszugleichen, „mit vielleicht sogar weit größerem Potenzial in der Zukunft“.