Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität

Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert

von Peter C. Gøtzsche

Riva Verlag

3. Aufl. 2016

ISBN 972-3-86883-438-3

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Arzneimittel helfen kranken Menschen. Also haben die Hersteller auch einen gewissen ethischen Anspruch — könnte man meinen. Durch diverse Skandale, welche den Weg in die Medien gefunden haben, hat sich dieses positive Bild der Pharmaindustrie in den letzten Jahren drastisch verdüstert. Das Buch von Peter C. Gøtzsche handelt von deren erschreckenden Machenschaften, welche offenbar weitgehend Teil des Geschäftsmodells sind.

Der Autor ist ursprünglich Facharzt für Innere Medizin. Von 1975–1983 führte er klinische Studien für Pharma-Unternehmen durch und hat Einsitz in Zulassungsbehörden. 2010 wurde er von der Universität Kopenhagen zum Professor für Forschungsdesign und Forschungsanalyse ernannt. Er ist Mitgründer der Cochrane Collaboration. Gøtzsche kann also als Insider und als einer der profundesten Kenner der Pharmaindustrie bezeichnet werden.

Dass das eigentliche Ziel der Konzerne die Gewinnmaximierung ist, ist kein Geheimnis. Der Autor deckt akribisch die Methoden auf, mit denen diese erreicht werden soll. Dazu werden gemäß seinem Buch Studiendaten zu Medikamenten schlicht und einfach manipuliert. Die Studiendaten werden den Forschungseinrichtungen nur selektiv ausgehändigt. Es werden bei zu erwartendem negativem Outcome Studiendesigns während einer laufenden Studie abgeändert. Studien werden von unternehmenseigenen Leuten geschrieben, was bei der Publikation nicht ersichtlich ist, respektive verschleiert wird. Opinion Leader geben ihren Namen dafür, gegen Entgelt. Es geht weiter: Einflussreiche Fachzeitschriften werden juristisch und finanziell zum Teil massiv unter Druck gesetzt. Ein weiteres dankbares Feld für die Einflussnahme sind natürlich die Zulassungsbehörden. Auch hier gibt es eine Unzahl von Belegen, wie die entscheidenden Leute von der Industrie gekauft werden. Der Autor listet viele Beispiele, speziell aus der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) auf. Strategisch wichtig für die Pharmaindustrie sind natürlich auch die Patientenorganisationen, welche auch vom finanziellen Segen profitieren können. Last but not least, das kennen wir alle, die Einflussnahme auf die verschreibenden Ärzte: inhaltliche Beeinflussung vom gesponserten Kongressen, Anwerbung für seeding trials, indirekter Druck über Beeinflussung der Patienten über Patientenorganisationen usw. Diese Auflistung ließe sich noch lange weiterführen.

Wenn man das Buch liest, könnte der Eindruck entstehen, dass es sich beim Autor um einen Verschwörungstheoretiker handelt. Gøtzsche belegt allerdings seine Aussagen immer akribisch genau. Sie können allesamt vom Leser verifiziert werden. Dieser Faktenbezug ist auch die große Stärke des Buches. Ein solch kritisches Buch könnte sonst so wahrscheinlich gar nicht geschrieben werden, ohne sich in die juristischen Nesseln zu setzen. Interessant ist das Buch auch, weil es direkte Implikationen mit der täglichen Praxis hat. So scheinen Gewissheiten über Medikamente, wie zum Beispiel die neueren Antidepressiva, COX2-Hemmer, in einem anderen Licht. Es bleibt das schale Gefühl, dass wir bei vielen Medikamenten nicht sicher sein können, ob wir dem Patienten damit mehr helfen oder schaden. Das Buch ist damit vor allem ein Aufruf zu vermehrter Transparenz und öffentlicher Kontrolle der Pharma-Forschung.

In gewissem Sinne ist das Buch Wasser auf die Mühlen unserer Akupunktur, resp. Aurikulomedizin: je weniger Medikamente, desto weniger unbekannte, potenziell gefährliche Nebenwirkungen. Ich finde aber, dass das Buch grundsätzlich Pflichtlektüre für jeden klinisch tätigen Arzt sein sollte, der sich dem hippokratischen Eid verpflichtet fühlt.