Der Gesetzgeber priorisiert zunehmend eine ambulante Versorgung. Man erwartet sich von der Ambulantisierung große Einsparungen im Gesundheitswesen. Tatsächlich kommt es derzeit dadurch aber eher zu einer Unterversorgung, wie Dr. Kirsten Jung, Erfurt, am Beispiel des Fachgebiets Haut- und Geschlechtskrankheiten in Thüringen darlegt.

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PD Dr. Kirsten Jung

Gemeinschaftspraxis für Dermatologie und Immunologie, Erfurt

Auf 1 % der stationären Fälle, die ambulant behandelt werden können, erwartet sich der Gesetzgeber Einsparungen von 120 Millionen Euro für die Krankenkassen. Versprochen werden Entlastungen von Kliniken und Personal. Da erwartungsgemäß die Anzahl von Kranken bei bekannter demografischer Situation in Thüringen (und in ganz Deutschland) nicht abnehmen wird, werden damit organisatorische, pflegerische und sozialmedizinische Maßnahmen direkt zu den Erkrankten "geschoben". Hotelähnliche Einrichtungen zur Unterkunft von Angehörigen sowie von Patientinnen und Patienten sind auf dem Vormarsch auf Klinikgeländen.

Effizienz auf Kosten der Arbeitsbelastung?

Was bedeutet das Verschieben des Krankenhausbettes in Richtung Ambulanz für uns Ärztinnen und Ärzte, für unsere konkrete Arbeitsbelastung und für unserere Aus-, Weiter- und Fortbildung?

Effizienzsteigerung der eingesetzten Ressourcen erwarten die Krankenkassen. Die Arbeitsdichte in den Niederlassungen, wo schwerpunktmäßig bisher ambulante Versorgung stattfand und immer noch stattfindet, ist für viele Medizinerinnen und Mediziner derart belastend geworden, dass sie sich aus diesem Sektor zurückziehen. 95 Thüringer Dermatologensitze sind für die ambulante Versorgung in diesem Land geplant. Besetzt sind ab 1. April 2023 nur noch 79 Sitze. Die Medizinerinnen und Mediziner wie auch das Pflegepersonal stimmen mit den Füßen ab, denn die Effizienz im System geht zu Lasten ihrer eigenen Gesundheit und Lebensqualität. Im Jahr 2020 - zur Zeit der Abschirmung der Kliniken - hat unsere Praxis 30 % mehr Erkrankte versorgt als üblich. Dabei wurden schwere Krankheitsbilder für ein nicht mehr zu unterbietendes wirtschaftliches, um nicht zu sagen unmoralisches Entgelt behandelt.

Unter- und Fehlversorgung eingetreten

Die Kliniken, die sich oftmals in privatem Besitzt befinden, reagieren auf die Ambulantisierung mit dem Auf- und Ausbau von Netzwerken durch medizinische Versorgungszentren (MVZ). Die unbesetzten Hautarztzulassungen in Thüringen gehen zu Lasten solcher MVZ und fehlen nun schon seit fast zwei Jahren in der ambulanten Versorgung. Eine juristische Handhabe durch das Organ der Selbstverwaltung, der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, gegenüber privaten Kliniken zur verpflichtenden Besetzung von Kassenarztsitzen existiert offenbar nicht.

Zusammenfassend scheint statt Erwartetem vom Gesetzgeber in Berlin zunächst einmal Unerwartetes einzutreten, nämlich ambulante Unter- und Fehlversorgungen in diesem Prozess der Kosteneinsparung an Kliniken. Welche juristisch-politischen Möglichkeiten braucht die Selbstverwaltung, das bisherige vierte Prinzip des deutschen Gesundheitswesens (neben Versicherungspflicht, Beitragsfinanzierung und Solidaritätsprinzip), um drohende ambulante Unterversorgung durch den Ambulantisierungsprozess der Kliniken zu vermeiden?

Die geschilderten Erfahrungen zeigen, dass es keine Erleichterung im Berufsleben von Ärztinnen und Ärzten durch die Ambulantisierung geben wird, sondern weitere Mehrbelastungen. Nebenbei müssen Medizinerinnen und Mediziner bereits seit mehreren Jahren zusätzlich eigentliche Tätigkeiten des medizinischen Fachpersonals miterledigen, damit es überhaupt "funktioniert". Auch die Fülle von "digitalen Sekretariatsarbeiten" entfremdet zunehmend den eigentlichen Arztberuf. Die weltweit geschätzten bisherigen Qualitätsstandards der deutschen Aus-, Weiter- und Fortbildung von Medizinerinnen und Medizinern werden schwer zu halten sein. Neben einer höheren Anzahl von Medizin-Studienplätzen sind Arbeitsbedingungen mit Zeit und Raum für ein fürsorgliches Krankengespräch sowie echtem kollegialen Austausch nötig, um eine ärztliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Der Marburger Bund, die Berufsverbände und die wissenschaftlichen Gesellschaften sollten sich diesem Thema endlich gemeinsam und solidarisch widmen.