Eingang 18. Januar 2021

Annahme 3. März 2021

Englische Fassung https://link.springer.com/journal/40629

Zusammenfassung

Hintergrund: Die SARS-CoV-2-Pandemie (SARS-CoV-2, "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2") stellte die stationäre wie auch ambulante Patientenversorgung vor ungekannte Herausforderungen. Um insbesondere im ambulanten Bereich eine gute Versorgung unter notwendigen Kontaktbeschränkungen aufrechtzuerhalten, wurde die Nutzung telemedizinischer Anwendungen gefordert und gefördert. Wie diese unter niedergelassenen Allergologen aufgenommen wurden, sollte die explorative Umfrage unter Mitgliedern des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (AeDA) zeigen.

Methoden: Die Befragung wurde beschränkt auf aktiv in der Niederlassung tätige Mitglieder des AeDA, die zuvor ihr Einverständnis für den Erhalt derartiger Umfragen erteilt hatten (n = 437) Diese wurden per E-Mail dazu eingeladen an einer Befragung zum Thema "Telemedizin im klinischen Alltag der Allergologie" teilzunehmen. Die Erhebung beinhaltete quantitative und qualitative Fragestellungen zur Nutzung telemedizinischer Angebote vor und während der Pandemie und wurde anonym auf der Plattform "SoSci Survey" durchgeführt. Die Teilnahme war im Zeitraum von Juni bis August 2020 möglich.

Ergebnisse: 76 Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Allergologie nahmen an der Befragung teil. Hiervon vervollständigten 71 den kompletten Fragebogen. Vor Beginn der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen gaben 46,5 % (33/71) an, telemedizinische Anwendungen genutzt zu haben. Diese Zahl stieg nach dem 31.1.2020 auf 73,2 % (52/71). Die größte Zunahme (4,3 % vs. 15,6 %) zeigte sich im Bereich der Videosprechstunden. 43/76 Teilnehmer können sich vorstellen, telemedizinische Angebote auch in Zukunft in ihren klinischen Alltag zu integrieren.

Schlussfolgerung: Die Nutzung telemedizinischer Angebote, insbesondere von Videosprechstunden, stieg während der SARS-CoV-2-Pandemie in Deutschland deutlich an. Die Mehrheit der Befragten empfindet die Umsetzung als positiv und kann sich vorstellen, telemedizinische Methoden auch nach Ende der Pandemie weiterhin zu nutzen.

Zitierweise: Dramburg S, Matricardi PM, Casper I, Klimek L. Use of telemedicine by practising allergists before and during the SARS-CoV-2 pandemic A survey among members of the Association of German Allergists (AeDA). Allergo J Int 2021;30:193-7

https://doi.org/10.1007/s40629-021-00175-5

Einleitung

Die von der Bundesregierung im Frühjahr 2020 beschlossenen Maßnahmen zur Einschränkung der Verbreitung des SARS-CoV-2 ("severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2") wurden von der Bevölkerung weitreichend umgesetzt, was zunächst zu einer erfolgreichen Senkung der Inzidenz führte. Parallel zeichnete sich jedoch auch eine deutliche Reduktion der ambulanten Arzt-Patienten-Kontakte ab, was die reguläre medizinische Versorgung in vielerlei Hinsicht vor neue Herausforderungen stellte. Regional konnte ein Rückgang der Kontakte von bis zu 75 % bei gleichbleibender Arztpräsenz beobachtet werden [1]. Um eine kontinuierliche Betreuung der Patienten unter Kontaktbeschränkungen und in Zeiten der Sorge vor Infektionsgefahr weiterhin zu gewährleisten, forderte und förderte das Bundesgesundheitsministerium den Einsatz telemedizinischer Anwendungen, insbesondere der Videosprechstunde. Nachdem bereits 2018 das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert worden war [2], veröffentlichte die Kassenärztliche Bundesvereinigung nun vereinfachte Handlungsanweisungen zur Implementierung telemedizinischer Angebote [3] inklusive Listen zertifizierter Technologieanbieter [4] und entsprechender Vergütungsstrukturen [5]. Während eine Umfrage der Stiftung Gesundheit eine deutliche Zunahme in der Nutzung telemedizinischer Anwendungen 2020 beschrieb [6], zeigte eine Befragung unterschiedlicher Teilhaber im Gesundheitssystem, dass sich Notwendigkeit, Abläufe und Nutzen in unterschiedlichen Versorgungsstrukturen doch teilweise deutlich unterscheiden [7]. Zwar zeigen die Autoren auch hier eine professionsübergreifend hohe Akzeptanz gegenüber telemedizinischen Angeboten, jedoch scheint deren Implementierung in unterschiedlichen Versorgungsszenarien mit unterschiedlichen Hürden konfrontiert. Beispielsweise schätzten Befragte privater Klinikbetriebe das Potenzial der Telemedizin positiver ein als dies ihre Kollegen in privaten Praxen taten. Um die Implementierung und Nutzung unterschiedlicher telemedizinischer Methoden im klinischen Alltag allergologisch tätiger Fachärzte zu beschreiben, führten wir eine Online-Befragung unter den Mitgliedern des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (AeDA) durch.

Methoden

Aus den Reihen der Mitglieder des AeDA wurden diejenigen, die aktiv in der Niederlassung tätig sind und zuvor ihr Einverständnis für den Erhalt derartiger Umfragen erteilt hatten (n = 437), per E-Mail und Anzeige eingeladen, zwischen 17. Juni 2020 und 31. August 2020 freiwillig an der Online-Befragung zum Nutzungsverhalten telemedizinischer Angebote teilzunehmen. Die Erhebung enthielt Fragen zu Altersgruppe, Geschlecht und Fachrichtung der Teilnehmer sowie zur Nutzung telemedizinischer Methoden vor und nach Einführung der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen. Es erfolgte außerdem eine Erhebung der Nutzung unterschiedlicher Technologien sowie eine Befragung bezüglich des Wunsches auch in Zukunft telemedizinische Anwendungen anzubieten. Mögliche Komplikationen telemedizinischer Angebote sowie die Entscheidungsträger bezüglich der Vertretbarkeit einer Fernbehandlung wurden ebenfalls abgefragt. Als Zeitpunkt zur Differenzierung der Zeiträume vor und nach Eintreten der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen wurde der 31.1.2020 festgelegt. Die Querschnittserhebung erfolgte anonym und datenschutzkonform mittels der webbasierten Umfrageplattform SoSci Survey [8]. Die deskriptive Datenauswertung erfolgte mittels Microsoft Excel, Version 16.44.

Ergebnisse

76 Fachärzte (17,4 % der Angefragten) mit allergologischer Zusatzbezeichnung nahmen an der Befragung teil. Es wurden 71 Fragebögen vollständig ausgefüllt. Die Teilnehmer waren zu 52,6 % weiblichen Geschlechts und gehörten zu 42,1 % der Altersgruppe 51-60 Jahre an (Tab. 1).

Tab. 1: Beschreibung der Umfrageteilnehmer

Neben der Allergologie (n = 48; 63,2 %) zählten die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (n = 32; 42,1 %) sowie die Dermatologie (n = 24; 31,6 %) zu den häufigsten Fachrichtungen. Im Hinblick auf die Nutzung telemedizinischer Anwendungen gaben 46,5 % (33/71) an, hiervon bereits vor dem 31.1.2020 Gebrauch gemacht zu haben. Diese Zahl stieg für die Nutzung nach dem 31.1.2020 deutlich auf 73,2 % (52/71) an. Die Spezifikation der genutzten Technologien zeigte stabile Tendenzen in der telefonischen Beratung vor und nach den pandemiebedingten Einschränkungen (20,5 %; 24/117 vs. 20,3 %; 39/192 respektive), während die größte Zunahme im Bereich der Videosprechstunden zu beobachten war (4,3 %; 5/117 vs. 15,6 %; 30/192). Die Nutzung weiterer Technologien, beispielsweise patientenzentrierter Apps oder der digitale Austausch mit Kollegen, zeigte sich auf niedrigem Niveau stabil, ohne signifikante Unterschiede vor und nach Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie (Tab. 2).

Tab. 2: Nutzung telemedizinischer Anwendungen und Spezifikation der genutzten Technologien vor und nach dem 31.1.2020

Die Frage nach dem Empfinden der technischen Implementierung telemedizinischer Maßnahmen in ihrer Praxis/Klinik beantworteten 55,3 % der Befragten als "neutral", "eher positiv" oder "positiv" (21,1 %; 18,4 %; 15,8 % respektive), während 50,6 % der Teilnehmer diese Bewertung im Hinblick auf den Einfluss telemedizinischer Angebote auf ihren klinischen Alltag abgaben (26 % neutral; 17,8 % eher positiv; 6,8 % positiv) (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

: Empfundener Einfluss telemedizinischer Anwendungen auf den klinischen Alltag*

Auf die Frage, wer im Einzelfall die Entscheidung über die Vertretbarkeit einer (rein) telemedizinischen Beratung trifft, antworteten alle Teilnehmer, dass diese Entscheidung innerhalb der Klinik/Praxis selbst getroffen werde. Ein externer Dienstleister wurde unter den Befragten nicht mit dieser Entscheidung betraut. In der Mehrheit der Fälle (62 %) entscheiden die Fachärzte selbst darüber, ob der Einsatz telemedizinischer Anwendungen angemessen ist oder nicht (Abb. 2). Komplikationen im Zusammenhang mit telemedizinischer Beratung wurden von 9 der 52 (17,3 %) Kollegen beschrieben, die nach dem 31.1.2020 eine solche nutzten. Freitext-Angaben zu deren Qualität ergaben Schwierigkeiten beziehungsweise Verzögerungen in der Diagnosestellung sowie Einschränkungen in der klinischen Befunderhebung und Kommunikationsprobleme mit einzelnen Patienten.

Abb. 2
figure 2

: Entscheidungsträger über die Vertretbarkeit telemedizinischer Beratung im Einzelfall

Beim Blick in die Zukunft gaben 56,6 % der Befragten an, sich vorstellen zu können, auch nach der aktuellen Pandemiesituation telemedizinische Angebote in ihrem klinischen Alltag zu nutzen, während 21,1 % diese Entscheidung noch nicht abschließend treffen können und 18,4 % die Nutzung ablehnen (Abb. 3). Auf die Bitte nach freien Kommentaren und Wünschen bezüglich der Tele-Allergologie äußerten die Befragten ein heterogenes Spektrum von enthusiastischer Befürwortung bis hin zur strikten Ablehnung telemedizinischer Methoden. Wiederholt schilderten Teilnehmer jedoch fehlende zeitliche und personelle Kapazitäten für ein zusätzliches telemedizinisches Angebot beziehungsweise die Auseinandersetzung mit dessen Implementierung.

Abb. 3
figure 3

: Angaben zum Wunsch, telemedizinische Anwendungen auch in der Zukunft zu nutzen (n = 76, Angaben in %)

Diskussion

Die Befragung niedergelassener Allergologen zur Nutzung von Telemedizin in ihrem klinischen Alltag in Zeiten der COVID-19-Pandemie zeigte eine signifikante Zunahme der Anwendung telemedizinischer Methoden, insbesondere in Hinblick auf die Videosprechstunden.

Die geringe Antwortrate von 17,4 % ist am ehesten auf eine gewisse Ermüdung bezüglich fachlicher Befragungen rund um die COVID-19-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die klinische Praxis zurückzuführen. Obwohl die Mehrheit der Befragten sich positiv zur Integration der Telemedizin in den klinischen Alltag äußerte, zeigte sich insgesamt, vor allem aber in den Freitext-Antworten, ein eher heterogenes Bild, das den Querschnitt gut wiedergibt und den in unterschiedlichen Versorgungseinrichtungen professionsübergreifend erhobenen Daten von Peine et al. entspricht [7].

Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Entscheidung über die Vertretbarkeit der Fernbehandlung in den meisten Fällen von den Fachärzten selbst getroffen und von keinem der Befragten an externe Dienstleister delegiert wird. Dies ist zunächst vor dem Hintergrund der ärztlichen Sorgfaltspflicht und Haftung zu bewerten [9], wobei insbesondere bei bekannten Patienten das Angebot beziehungsweise die Terminierung von Videosprechstunden für festgelegte Szenarien durch geschultes Praxispersonal durchaus denkbar sind.

Während die technische Implementierung telemedizinischer Angebote von der Mehrheit der Teilnehmer als "neutral" bis "positiv" empfunden wird, zeigt sich eine größere Heterogenität in Bezug auf den Einfluss der neuen Methoden auf den klinischen Alltag. In Freitext-Kommentaren wurde wiederholt angemerkt, dass die zeitliche Eingliederung in den oft bewegten Praxisalltag eine Herausforderung sein kann beziehungsweise Zeit- und personeller Ressourcenmangel eine Hürde darstellen. Obwohl seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen Unterstützungsangebote zur Verfügung gestellt wurden, können Zusatzangebote der Fachgesellschaften und praxisnahe Schulungen die Einbindung neuer Technologien in bestehende Strukturen weiter erleichtern.

Insgesamt sprachen sich über die Hälfte der Teilnehmer dafür aus, telemedizinische Beratungen auch in der Zukunft anbieten zu wollen, was insbesondere im Hinblick auf die fachärztliche Versorgung strukturschwacher Regionen zu begrüßen ist.