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Ärztinnen und Ärzte können einiges tun, um ihre Resilienz zu stärken. Sie sollten aber auch nicht die Ursachen für ihre Belastung aus dem Blick verlieren, sagt Dr. Michael Hunze, Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin. Er betätigt sich in der hausärztlichen Fort- und Weiterbildung und hat für das Institut für hausärztliche Fortbildung (IhF) zusammen mit Dr. Jana Husemann den Workshop „Resilienz und Grenzen“ konzipiert.
MMW: Sie veranstalten Workshops zum Thema Resilienz. Was hält Ärztinnen und Ärzte psychisch widerstandsfähig?
Dr. Michael Hunze: Viele bekommen leuchtende Augen, wenn sie von ihren außerberuflichen Interessen und Beziehungen erzählen. Das scheint etwas ganz Wichtiges zu sein. Ebenso wird der kollegiale Austausch als resilienzstärkend empfunden. Hinzu kommt, auf körper-liche Bedürfnisse zu achten, etwa viel Bewegung und frische Luft, aber auch auf Grundbedürfnisse wie vernünftiges Essen. Wenn ich merke, dass ich mir mittags was reinstopfe und derweil Befunde lese, dann bin ich nicht gut im Zusammenspiel mit meinen Bedürfnissen.
MMW: Eigentlich verfügen Niedergelassene über wichtige Schutzfaktoren vor Stress und Burnout: selbstbestimmtes Arbeiten, eine hohe Selbstwirksamkeit, Anerkennung und eine relativ gute Bezahlung. Warum fühlen sich trotzdem viele stark gestresst?
Hunze: Zum einen bin ich als niedergelassener Arzt nach wie vor selbstständiger Unternehmer mit allen Anspannungen und Risiken, die das mit sich bringt. Ich trage das gesamte finanzielle Risiko und muss mir ständig Gedanken machen, ob es fürs nächste Quartal noch reicht. Dabei läuft im Hintergrund immer auch der Gedanke: Kann ich das, was ich gerade mache, abrechnen und, falls ja, ist das kostendeckend? Plakativ gesagt, lässt sich eine Hausarztpraxis sehr wirtschaftlich betreiben, indem ich viele AU-Bescheinigungen und Überweisungen ausstelle. Aber mich hinsetzen, lange Gespräche führen oder mich in eine komplizierte Krankheitssi-tuation hineinzudenken, wird nicht belohnt. Das ist sicher ein Grund, weshalb inzwischen viele auf die Autonomie einer selbstständigen Niederlassung verzichten und sich anstellen lassen.
Die Bürokratie schränkt das ärztliche Handeln ein
Ein weiteres Problem ist die Arbeitslast. Die Frage ist: Woher kommt die Einstellung, mindestens 1.200 Scheine im Quartal haben zu müssen? Einige stellen zwei MFA ein, machen 800 Scheine und sind dann weniger gestresst - auch das ist möglich. Davon abgesehen bröckelt die Anerkennung: In den Medien hieß es neulich wieder, Ärzte verdienen 7.000 € netto und beschweren sich trotzdem ständig. Das hat vielen Kolleginnen und Kollegen wehgetan, weil es nicht ihre Realität abbildet. Zudem ist die Autonomie begrenzt: Je bürokratischer und vorschriftslastiger die Arbeit wird, desto mehr sind wir in unserem Handeln eingeschränkt.
MMW: Wie sieht es auf der persönlichen Ebene aus? Gibt es hier so etwas wie arzttypische Faktoren, die an der Resilienz nagen?
Hunze: Die Nähe-Distanz-Regulation ist häufig ein Problem, ebenso eine fehlende Wahrnehmung der eigenen Grenzen. Die Bedürfnisse, die man in Gesundheitsberufen theoretisch befriedigen könnte, sind quasi unendlich, aber die eigene Kraft ist immer endlich, und das passt schlecht zusammen. Wenn jemand, dem es schlecht geht, um sieben Uhr abends nach einem Hausbesuch fragt, dann lassen Sie eine solche Aufgabe weniger leicht liegen als einen aufgeschlagenen Aktenordner. Ungünstig ist daher ein ausgeprägter Perfektionismus, aber auch eine übermäßige Empathie. Beides macht es schwer, auf die eigenen Grenzen zu achten und kann dazu führen, dass beruf- liche Belastungen stark ins Privatleben eingreifen. In einem System mit begrenzter Zeit und begrenzten Ressourcen ist es paradoxerweise ganz gut, nicht zu empathisch und nicht zu perfektionistisch zu sein. Anders geht es gar nicht.
MMW: An den strukturellen Belastungen lässt sich vermutlich so schnell nicht viel ändern. Sollten sich Ärzte letztlich also eher darauf fokussieren, damit umzu- gehen und ihre Resilienz zu stärken?
Hunze: Nein, da muss ich widersprechen. Wir können strukturell etwas ändern, das ist sogar der Schlüssel, um die Belastung zu reduzieren. Es ist unglaublich wichtig, sich nicht hängen zu lassen und zu sagen: Ich kann sowieso nichts ändern. Eine gute Berufspolitik und ein starker Berufsverband sind essenziell. Natürlich kann ich auch individuell einiges tun, zum Beispiel Achtsamkeitstraining und körperliche Entspannungsmethoden oder Sport absolvieren. Das bringt sicher etwas, aber die Strukturen im Gesundheitssystem sind weitaus relevanter für die Erhaltung der Resilienz und die Burnout-Prävention.
Es geht darum, eine Übereinstimmung zwischen den Werten der Ärztinnen und Ärzte und dem System zu erreichen. Das schaffen Sie nur teilweise, indem Sie sich anpassen. Viel entscheidender ist, ein System zu gestalten, das zu unseren Werten passt und zu den Vorstellungen, wie wir arbeiten wollen.
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Müller, T. „Zu viel Perfektionismus und Empathie schaden“. MMW Fortschr Med 166, 18 (2024). https://doi.org/10.1007/s15006-024-3579-y
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