Eine große Metaanalyse zur Therapie von Schmerzerkrankungen unterschiedlicher Ätiologie sorgt für Furore. Vermeintlich muss man sich vom Einsatz von Antidepressiva verabschieden. Doch es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen.

26 Übersichtsarbeiten mit 156 Einzelstudien, in denen ein Antidepressivum bei Erwachsenen mit chronischen Schmerzerkrankungen mit Placebo verglichen wurde, wurden identifiziert. Zwei Gutachter extrahierten unabhängig voneinander die Daten. Der wichtigste Endpunkt war die Schmerzintensität. Bei Kopfschmerzerkrankungen war der primäre Endpunkt die Schmerzhäufigkeit. Die Studienergebnisse wurden in eine einheitliche Schmerzskala von 0-100 umgerechnet. Sekundäre Endpunkte waren Sicherheit und Verträglichkeit. Die Ergebnisse wurden jeweils als wirksam, nicht wirksam oder nicht schlüssig bewertet.

Die Übersichten berichteten über die Wirksamkeit von acht Antidepressivaklassen bei 22 Schmerzdiagnosen mit 42 verschiedenen Vergleichen. Keine der Übersichtsarbeiten lieferte Hinweise auf die Wirksamkeit von Antidepressiva mit hohem Evidenzgrad. Es wurden elf Vergleiche und neun Erkrankungen gefunden, bei denen Antidepressiva statistisch überlegen waren, vier davon mit mäßiger Evidenz. Dabei handelte es sich um Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) bei Rückenschmerzen (mittlere Differenz zu Placebo: 5,3 Punkte, 95%-Konfidenzintervall 3,3-7,3), postoperativen Schmerzen (7,3 Punkte, 1,7-12,9), neuropathischen Schmerzen (6,8 Punkte, 4,8-8,7) und Fibromyalgie (Risikoverhältnis 1,4; 1,3-1,6).

Quelle: Ferreira GE, Abdel-Shaheed C, Underwood M et al. Efficacy, safety, and tolerability of antidepressants for pain in adults: overview of systematic reviews. BMJ. 2023;380:e072415

MMW-Kommentar

Die Berichterstattung über die Studie in der Laienpresse hat die Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen erheblich verunsichert. Zugegeben: Für viele chronische Schmerzen ist die Datenlage nicht besonders gut. Es gibt allerdings zumindest starke Hinweise dafür, dass Antidepressiva bei chronischem Spannungskopfschmerz, Migräne, chronisch neuropathischen Schmerzen sowie Rückenschmerzen wirksam sind. Im Einzelfall setzt man ein trizyklisches Antidepressivum oder einen SNRI ein und macht die Behandlungsdauer davon abhängig, ob die Therapie wirksam ist und ob sie toleriert wird.

Gar nicht diskutiert wird in der Studie die mögliche Wirkung von Antidepressiva in Kombination mit anderen schmerzmedikamentösen Ansätzen.

figure 1

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener

Klinische Neurowissenschaften, Universität Duisburg-Essen